Neben den religiösen Festen wie Pessach und Shawuot werden in Israel jedes Frühjahr drei weitere nationale Feiertage begangen. An Yom HaShoa wird den Opfern des Holocaust gedacht, an Yom HaZikaron um die gefallenen israelischen Soldatinnen und Soldaten sowie Terroropfer getrauert. An Yom Haatzmaut wird schlussendlich die israelische Staatsgründung gefeiert. Die Abfolge der drei Gedenktage ist kein Zufall. Sie soll dem Übergang von Tod und Vernichtung über Aufopferung und Trauer hin zu Freiheit und Selbstbestimmung Tribut zollen. 2023 ist dabei ein ganz besonderes Festjahr, denn der 26. April markiert den 75. Jahrestag der israelischen Unabhängigkeit.
Die Staatsgründung Israels erfolgte, nachdem die Vereinten Nationen 1947 einen Teilungsplan über die Region Palästina zustimmten, der sowohl einen jüdischen als auch einen arabischen Staat vorsah. Am 14. Mai 1948 endete das bis dahin geltende Mandat des Völkerbundes (1922-1948), welches den Auftrag an das Vereinigte Königreich vergeben hatte, bei der Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen.
David Ben Gurion, erster Premierminister Israels, erklärte an diesem historischen Tag die Staatsgründung Israels und verlas die Unabhängigkeitserklärung. Die folgenden Jahre waren immer wieder durch Kriege und terroristische Angriffe auf Israel gekennzeichnet. Einige Friedensbemühungen erwiesen sich jedoch als erfolgreich. So gelang es mithilfe internationaler Vermittlung, entsprechende Verträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994) auszuhandeln, die bis heute beständig sind. Mit den Abraham-Abkommen manifestierte sich 2020 zudem die Normalisierung zwischen Israel und vier weiteren muslimischen Staaten: Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko und dem Sudan.
Dieser Paradigmenwechsel gibt neue Hoffnung für den israelisch-palästinensischen Friedensprozess, welcher in den vergangenen Jahren praktisch zum Stillstand gekommen ist. Deutschland und Europa wären daher gut beraten, diese Zeitenwende im Nahen Osten aktiv zu begleiten.
Israel hat zu seinem 75. Jubiläum neben den genannten außenpolitischen Erfolgen viele weitere Errungenschaften zu verbuchen. Dies trifft insbesondere auf den Innovationssektor der einstigen Agrarnation zu, welcher zu den weltweit führenden gehört. 10 Prozent der israelischen Bevölkerung sind heute in der Innovationsbranche beschäftigt. High-Tech-Produkte machten im Jahr 2021 über 50 Prozent des Exportvolumens aus. Da Technologieunternehmen wie Microsoft, Intel oder IBM die Startup Nation Israel und insbesondere Tel Aviv als ihren ersten Produktionsort außerhalb der Vereinigten Staaten gewählt haben, wird die Metropolregion bereits als „Silicon Wadi“ bezeichnet. Darüber hinaus zählt Israel zu den führenden Weltraumnationen und bietet sich Europa als strategischer Partner bei der Bekämpfung des Klimawandels an.
In Sicherheitsfragen ist Israel lange zum globalen Vorreiter avanciert. Die Israel Defence Forces (IDF) zählen heute auch aufgrund der vielfältigen Bedrohungen zu den schlagkräftigsten Armeen weltweit. Seine Expertise teilt Israel unter anderem im Rahmen gemeinsamer Militärübungen und strategischer Dialoge, wie jüngst auch mit der Bundeswehr. Auch beim Thema Cybersecurity ist Israel ein zentraler Akteur. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat jüngst dazu geführt, das Europa und Israel ihre sicherheits- und verteidigungspolitische Partnerschaft vertiefen wollen. Israelische Technologie soll dabei zukünftig verstärkt zum Schutz Deutschlands und Europas beitragen.
Gleichzeitig sieht sich Israel im Jahr 2023 mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Diese liegen etwa in der aktuellen innenpolitische Debatte um die von der Regierung Netanjahu geplante Justizreform und die damit einhergehenden landesweiten Proteste. Die drohende Erosion rechtsstaatlicher Strukturen spaltet die israelische Gesellschaft beispiellos und befeuert auch die Debatte um die Fortsetzung des Siedlungsbaus in der Westbank von Neuem. Als einziger jüdischer Staat und deklarierte Schutzmacht von Jüdinnen und Juden weltweit spielt Israel außerdem eine wichtige Rolle im internationalen Kampf gegen Antisemitismus, der seit Jahren kontinuierlich zunimmt. Daneben stellt das fortschreitende Atomprogramm des iranischen Regimes eine existenzielle Bedrohung für Israel und die Region dar, die nur durch ein international koordiniertes multilaterales Vorgehen eingedämmt werden kann.
In seinem 75-jährigen Bestehen war und ist Israel immer wieder existenzbedrohenden Herausforderungen ausgesetzt. Sowohl die Gründung als auch das Fortbestehen des jüdischen Staates waren und sind ein kollektiver Kraftakt. Das Wahrwerden des 75. Jahrestages der israelischen Unabhängigkeit könnte daher treffend mit dem folgenden Bibelzitat beschrieben werden: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ (Psalm 126, 5-6).
Europa und insbesondere Deutschland tragen die Verantwortung, den Staat Israel zu schützen. Über 75 Jahre hat Europa diese Rolle nun bereits mit Leben gefüllt, ist ein Garant für die Sicherheit und den wirtschaftlichen Wohlstand Israels. Das European Leadership Network (ELNET) hat es sich zur Aufgabe gesetzt, dieses europäische Engagement zu unterstützen und die Beziehung zwischen Europa und Israel auf Grundlage demokratischer Werte und gemeinsamer Interessen zu fördern. Die ELNET International Policy Conference (EIPC), die vom 8.-10. Mai zum dritten Mal in Paris stattfinden wird, soll dazu einen wichtigen Beitrag leisten.