Nach monatelangen Verhandlungen hat die Bundesregierung am 14. Juni 2023 die Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt. Das über 70 Seiten starke Dokument definiert einen integrierten Sicherheitsbegriff, der neben klassischen Dimensionen der Verteidigungspolitik auch Herausforderungen wie Cybersicherheit, Energieversorgung, Pandemiebekämpfung und Klimaschutz umfasst.
Dabei gliedert das Dokument die sicherheitspolitischen Ziele Deutschlands in drei Dimensionen: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. ELNET begrüßt, dass sich Deutschland mit der Strategie erstmals umfassenden Leitlinien verpflichtet, an denen die Politik der kommenden Jahre gemessen werden kann. Die Passagen zu Israel bleiben allerdings klar hinter den Erwartungen zurück. Auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Israel Survey 2023, bei welchem sich 80 Prozent der deutschen Parlamentarier für eine engere Kooperation mit Israel aussprechen, ist dies überraschend.
Das neue Grundlagendokument spricht davon, die „Verantwortung für das Existenzrecht Israels“ gehöre zur sicherheitspolitischen Identität der Bundesrepublik. Damit weicht das Strategiepapier von dem noch im Koalitionsvertrag erneuerten Bekenntnis zur Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson ab. Zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode verurteilte die Bundesregierung zudem noch klar die Bedrohung des jüdischen Staats und den anhaltenden Terrorismus gegen die israelische Bevölkerung. Die Normalisierung der Beziehungen Israels mit einer Reihe muslimischer Staaten im Rahmen der Abraham-Abkommen wurde begrüßt, antisemitisch motivierte Verurteilungen Israels, auch im Rahmen der Vereinten Nationen, klar verurteilt. Warum eine solch deutliche Sprache ihren Weg in die Nationale Sicherheitsstrategie nicht gefunden hat, bleibt unverständlich.
Dabei kann Israel als enger Partner Deutschlands in vielen Bereichen einen bedeutenden Beitrag leisten, die in der neuen Strategie definierten Ziele umzusetzen. Die Bundesregierung bekennt sich erneut zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Die Bundeswehr wird als Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung in Europa gesehen. Zudem soll die Entwicklung militärischer „Zukunftsfähigkeiten“ vorangetrieben werden. Der Bundesregierung geht es dabei auch darum, Europa als Ganzes sicherheits- und verteidigungspolitisch zu stärken. Bei dieser Aufgabe können israelische Expertise und Technologie helfend zur Seite stehen. Die deutsche Absicht, das israelische Luftverteidigungssystem Arrow 3 zu erwerben, verdeutlicht die Relevanz Israels als Kooperationspartner im Bereich Sicherheit. Das System, das feindliche Raketen auch außerhalb der Erdatmosphäre abfangen kann, soll auch als Grundlage für die europäische Sky-Shield-Initiative dienen.
Auch bei der Förderung gesamtgesellschaftlicher Resilienz kann Israel Deutschland als enger Partner unterstützen. Der jüdische Staat sieht sich seit seiner Gründung vor 75 Jahren einer feindlichen Umgebung gegenüber und hat gelernt mit dieser Situation umzugehen. Das zeigt sich beispielsweise im Bereich der Cybersicherheit – einem weiteren Kernelement der Nationalen Sicherheitsstrategie. Die Bundesregierung will kritische Infrastrukturen (einschließlich der Bundesverwaltung) besser vor Cyberangriffen schützen, ein ganzheitliches Cyberlagebild schaffen, im NATO-Rahmen eine Cyber-Soforthilfe etablieren und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für die Zukunft rüsten. Auch hier kann Deutschland von israelischer Expertise profitieren. Schon seit 2022 gibt es in Israel die „National Information Security Authority“, die im Rahmen einer Cybersicherheitsstrategie ins Leben gerufen wurde. Weitere Akteure sind das direkt beim Premierminister angesiedelte „Israeli National Cyber Bureau“, welches die Umsetzung der Cybersicherheitsstrategie überwacht, und das Israeli Cyber Companies Consortium (IC3). Das Gremium umfasst die führenden Cyberunternehmen des Landes und stellt direkt End-to-End-Lösungen bereit.
Resilienz bezieht in dem Strategiedokument darüber hinaus auch den Bereich der Energieversorgung und Rohstofflieferungen mit ein. Spätestens der russische Angriff auf die Ukraine hat verdeutlicht, dass zu große Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten Konsequenzen für die nationale Sicherheit hat. Die Bundesregierung will darum Rohstoff- und Energiesicherheit durch Diversifizierung sicherstellen. Dabei spielt der Nahe Osten eine immer größere Rolle, wie das jüngste ELNET Policy Briefing zeigt. Projekte wie die Lieferung israelischen Flüssiggases über Ägypten an die Europäische Union helfen den Wegfall russischer Lieferungen kurzfristig zu kompensieren. Mittel- bis langfristig wird sich das Solarpotenzial der Region als sehr gewinnbringend erweisen. In der deutsch-israelischen Energiepartnerschaft arbeiten beide Länder schon heute zusammen. Der geplante Anschluss Israels an das europäische Stromnetz über die Unterseeleitung EuroAsia Interconnector schafft nun die notwendige Infrastruktur, um die Zusammenarbeit in Zukunft noch auszuweiten.
Schließlich bietet sich Israel auch für den Bereich Nachhaltigkeit und Klimaschutz, den dritten Schwerpunkt der Strategie, als starker Partner an. Das florierende Startup-Ökosystem im Land umfasst mehr als 850 Unternehmen im ClimateTech-Sektor, die tagtäglich an Lösungen arbeiten, die auch in Deutschland ihre Umsetzung finden können. Neben dem Kampf gegen steigende Emissionen umfasst die Nationale Sicherheitsstrategie aber auch die Erkenntnis, dass Anpassungsstrategien an ein sich veränderndes Weltklima unabdingbar sind. Israel zeigt, wie etwa landwirtschaftliche Prozesse an neue klimatische Bedingungen adaptiert werden können. In der Negev-Wüste schafft beispielsweise umfangreiches Abwasser-Recycling die Voraussetzung für den Anbau verschiedener Produkte. Zu guter Letzt will die Bundesregierung künftig auch dem Weltraum als strategische Dimension verstärkt ihre Aufmerksamkeit widmen. Auch hier gelte es laut der Strategie, mit Partnern zusammenzuarbeiten. Mit dem German-Israeli Space Forum bietet ELNET hier seit 2021 gemeinsam mit dem BDI regelmäßig Impulse für weitergehende Zusammenarbeit.
Zusammenfassend eröffnet die Nationale Sicherheitsstrategie zwar Potenziale für eine verstärkte Zusammenarbeit Deutschlands und Israels. Ein klares Bekenntnis dazu von deutscher Seite lässt sie allerdings vermissen.