Prof. Dr. Shlomo Shpiro diskutiert über NATO-Israel-Beziehungen

Im Zuge der Zeitenwende und der fundamentalen Veränderungen der europäischen Sicherheitsarchitektur hat auch die NATO eine neue Bedeutung erfahren. Während ihr Zweck vor wenigen Jahren noch vermehrt in Frage gestellt wurde, ist das Verteidigungsbündnis heute wichtiger denn je. Neue Herausforderungen wie Cybersicherheit treten dabei neben herkömmliche Aufgaben wie die Sicherung kritischer Infrastruktur und die Koordination militärischer Fähigkeiten. Israel ist der NATO seit langem als enger Partner verbunden, die Bedrohung durch den Iran und die Rolle Russlands verkomplizieren das Verhältnis allerdings. 

Vor diesem Hintergrund richtete ELNET Anfang Juli ein Parlamentarisches Frühstück im Deutschen Bundestag unter Schirmherrschaft von Serap Güler MdB aus. Prof. Dr. Shlomo Shpiro, ELNET Fellow und Direktor des Europa Instituts an der Bar-Ilan Universität, stellte den anwesenden Abgeordneten dabei exklusiv das neueste ELNET Policy Briefing vor: „Die NATO und Israel: Auf dem Weg zu einer engeren Partnerschaft”.

Prof. Shpiro skizzierte die Geschichte der Beziehungen zwischen Israel und der NATO als Organisation, aber auch zwischen den IDF und einzelnen NATO-Armeen. Die bilateralen Beziehungen zur Bundeswehr gingen beispielsweise historisch sogar weiter zurück als die zur US-Armee, so der Wissenschaftler. Mit Blick auf die Zukunft gehe es insbesondere darum, wo Potenziale und ungenutzte Chancen liegen, und welche Rolle Deutschland spielen könne, um diese zu nutzen. 

Die „European Sky Shield Initiative“ (ESSI), welcher sich jüngst auch die beiden sonst neutralen Staaten Österreich und die Schweiz angeschlossen haben, stellt die Luftverteidigung des Kontinents auf eine neue Grundlage. Als technologische Basis ist neben dem Iris-T SLM für kürzere und dem Patriot-System für mittlere bis lange Reichweiten auch das israelische Raketenabwehrsystem Arrow-3 im Gespräch. Arrow-3 ist auf besonders große Reichweiten (auch außerhalb der Erdatmosphäre) ausgelegt. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags gab erst kürzlich die ersten Mittel für den Erwerb durch die Bundesrepublik frei. Prof. Shpiro erläuterte die verschiedenen Schichten des israelischen Raketenabwehrsystems und stellte die Bedeutung des Arrow-3-Systems für die europäische Verteidigungsarchitektur heraus. Kampferprobte Systeme seien stets solchen vorzuziehen, die ihre Leistungsfähigkeit im Ernstfall erst noch beweisen müssten. Die Initiative wird die Verteidigungszusammenarbeit zwischen den NATO-Staaten, Israel und Deutschland auf eine neue Ebene heben. 

Prof. Shpiro erläuterte zudem, dass Raketenabwehrsysteme nicht nur als militärisches, sondern auch als politisches Mittel verstanden werden müssten. Ein wirksamer Schutz vor Bedrohungen mache eine Gesellschaft autarker und verschaffe der Politik dadurch neue Handlungsspielräume. Ob bei der Beschaffung von Rüstungsgütern oder bei der Ausbildung von Reservisten: Deutschland und seine NATO-Verbündeten können von Israel viel lernen. ELNET-Fellow Shpiro betonte zudem, dass die israelischen Streitkräfte der Bundeswehr zahlenmäßig ebenbürtig, ihr in vielen Bereichen aber weit voraus seien – und dies, obwohl die Bevölkerungsgröße Israels nur etwa einem Zehntel der Bevölkerung der Bundesrepublik entspricht.

Ein Blick nach Israel empfiehlt sich auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz der Streitkräfte. Nicht zuletzt aufgrund der Bedrohungslage und der allgemeinen Wehrpflicht ist das Verhältnis der israelischen Gesellschaft zu ihren Streitkräften ein ganz besonderes, während die deutsche Bevölkerung der Bundeswehr oft distanzierter gegenübersteht. Der russische Angriff auf die Ukraine und die dadurch entstandene neue Bedrohungslage für Europa, können auch hierzulande zu Veränderungen führen. Konsens herrschte in der parlamentarischen Runde hinsichtlich der Tatsache, dass die Leistungen der Streitkräfte in Deutschland sichtbarer gemacht werden müssten. So könne die Zivilgesellschaft der Bundeswehr besser den Rücken stärken.

Schließlich kamen auch die israelisch-russischen Beziehungen sowie die Rolle der Türkei als NATO-Mitgliedstaat zur Sprache. Die weiterhin bestehenden Spannungen zwischen Israel und der Türkei könnten auch mithilfe der NATO aufgehoben werden, so Prof. Shpiro. Es herrschte zudem Einigkeit darüber, dass die AbrahamAbkommen nicht nur Israel und der arabischen Welt, sondern auch Europa neue Perspektive eröffnen. Auch hier scheint eine Einbindung der NATO sinnvoll. Eine ähnliche Perspektive skizzierten auch die die Ergebnisse des diesjährigen Israel Survey, nach dem sich über zwei Drittel aller Parlamentarier eine engere Kooperation zwischen Israel und der NATO wünschen. 

Am Folgetag wurde die Diskussion im Rahmen eines Politischen Mittagstisches fortgesetzt. Dieses Format richtet sich exklusiv an Mitarbeitende der Abgeordnetenbüros, sowie Vertreter von Think Tanks, NGOs und anderen relevanten Organisationen.