Ein Blick in den Koalitionsvertrag

Vor dem Hintergrund des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Mehrfrontenkrieg ist die neue Bundesregierung in besonderem Maße gefordert, Solidarität mit dem einzigen jüdischen Staat zu zeigen. Auch jährt sich in diesem Jahr die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel zum 60. Mal. Unterdes beobachten wir weltweit einen dramatischen Anstieg des Antisemitismus. Auch hier ist entschlossenes Handeln gefordert. Der am 10. April 2025 von CDU/CSU und SPD vorgestellte Koalitionsvertrag “Verantwortung für Deutschland” liefert erste Anhaltspunkte, inwiefern die neue Bundesregierung diesen Herausforderungen gerecht wird.

Israel und der Nahe Osten 

Wie alle Koalitionen seit 2013 bekennt sich die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag deutlich zum Existenzrecht und, wie zuvor die Ampelkoalition, auch ausdrücklich zur Sicherheit Israels als „Teil der deutschen Staatsräson“. Diese Formulierung unterstreicht die grundsätzliche Haltung, der jedoch auch Taten folgen müssen. Zwar bekräftigt die Bundesregierung ihre Absicht, Israel bei der Gewährleistung seiner Sicherheit zu unterstützen, bleibt jedoch konkrete Zusagen – etwa zur Lieferung militärischer Güter – schuldig. Verwunderlich ist zudem, dass die 59 Geiseln, die sich mehr als anderthalb Jahre nach dem 7. Oktober 2023 noch immer in der Gewalt der Hamas befinden, im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt werden. Dieses Versäumnis ist enttäuschend, zumal sich ihre Lage durch die Wiederaufnahme kriegerischer Handlungen im Gazastreifen weiter verschärft.

So wichtig die Bezüge zur Sicherheitslage Israels sind: Es ist mehr als verwunderlich, dass der neue Koalitionsvertrag keinerlei Bezug auf das 60. Jubiläum der diplomatischen Beziehungen mit Israel nimmt. Auch fehlt jegliche Perspektive, wie diese besonderen bilateralen Beziehungen zukünftig entwickelt werden sollen, beispielsweise in den Bereichen digitale Gesundheit, Cybersecurity, Jugendaustausch, Verteidigung, Weltraumtechnologien oder Wissenschaft und Forschung.

Begrüßenswert hingegen ist, dass die neue Bundesregierung klare Worte zum UN-Hilfswerk UNRWA findet. Während die Ampelregierung das Hilfswerk trotz langjähriger Kritik “weiter finanziell unterstützen” und auf einen “unabhängigen Monitoringprozess” setzen wollte, macht die neue Bundesregierung weitere Zahlungen an das Hilfswerk nun klar von “umfassenden Reformen abhängig”. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung hier mit anderen Geberländern und Israel für einen umfassenden Reformprozess einsetzen, der schrittweise Aufgaben an andere Organisationen überträgt. 

Auch die Positionierung der Koalition gegenüber dem Iran ist grundsätzlich begrüßenswert. So will sich die Regierung beispielsweise dafür einsetzen, dass die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) auf die Terrorliste der EU gesetzt werden. Ein konkretes Bekenntnis zur Nutzung des “Snapback-Mechanismus”, der die im JCPOA vorgesehenen Sanktionen gegen die Islamische Republik wieder in Kraft setzen würde, fehlt allerdings. 

Die Abraham-Abkommen finden im Koalitionsvertrag – anders als vor vier Jahren – keinerlei Erwähnung. Dies verwundert auch deshalb, da 85 Prozent aller deutschen Parlamentarier eine aktive Rolle Deutschlands bei der Förderung weiterer Normalisierungsbemühungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn unterstützt. Ebenso bleibt die destruktive Rolle iranischer Proxies, der Hisbollah im Libanon sowie den Huthis im Jemen, in der Region unerwähnt. Aussagen zur Zukunft Syriens bleiben schwammig und tragen den Sicherheitsinteressen Israels nicht ausreichend Rechnung. 

Antisemitismus und Jüdisches Leben 

Der Koalitionsvertrag betont Deutschlands “besondere Verantwortung” im Kampf gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in seiner Vielfalt – sowohl online als auch offline. 

Ein zentraler Schwerpunkt des Vertrags liegt auf dem Schul- und Hochschulbereich, der derzeit keinen sicheren Raum für Jüdinnen und Juden darstellt. Begrüßenswert ist, dass hier Israelfeindlichkeit explizit als Gefährdung benannt wird. Zu kritisieren ist derweil, dass konkrete und rasch wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Situation ausbleiben. Stattdessen liegt der Fokus auf allenfalls mittelfristigen Maßnahmen, wie der Stärkung der Antisemitismusforschung und einer engeren Verzahnung mit der schulischen Praxis. Vielmehr bräuchte es eine umfassende Strategie sowie ein Maßnahmenpaket. Immerhin soll ein Kompetenznetzwerk für jüdische Gegenwartsforschung entwickelt werden. Hierbei ist zu empfehlen, einen starken Fokus auf Israel Studien zu legen – ein bislang in Deutschland quasi nicht existentes Forschungsfeld.  

Im Kultursektor verspricht die Koalition, keine Projekte oder Organisationen zu fördern, die Antisemitismus verbreiten oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Dies soll durch “rechtssichere Förderbedingungen, Sensibilisierung und Eigenverantwortung” sichergestellt werden. Hier bestehen Zweifel an der Praxistauglichkeit – insbesondere, da die international anerkannte Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) im Koalitionsvertrag völlig unberücksichtigt bleibt.

Das Fehlen der IHRA-Definition ist schwerwiegend: Sie gilt als internationaler Standard und bezieht explizit auch israelbezogenen Antisemitismus ein, der seit dem 7. Oktober 2023 grassiert. Sie wurde vom Deutschen Bundestag noch im November 2024 in der Antisemitismusresolution prominent aufgegriffen – umso unverständlicher ihr Fehlen jetzt. Ebenso fehlt im Koalitionsvertrag bedauerlicherweise ein klares Bekenntnis zur Institution des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und gegen Antisemitismus.

Im Bereich der Justiz kündigt die Koalition konkrete und begrüßenswerte Schritte an: Geplant ist unter anderem eine Verschärfung des Straftatbestands der Volksverhetzung. Wiederholte Verurteilungen nach § 130 StGB sollen künftig zum Entzug des passiven Wahlrechts führen. Pläne für ein verbessertes Monitoring antisemitischer Vorfälle fehlen allerdings im Koalitionsvertrag.

Auch der Sport findet Beachtung: Der jüdische Turn- und Sportverband Makkabi Deutschland wird weiter unterstützt. Ein bestehendes Bundesprogramm zur Bekämpfung von Extremismus und Antisemitismus wird ebenfalls fortgeführt.

Als Kern der deutschen Erinnerungskultur definiert der Koalitionsvertrag die „Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Verbrechensherrschaft und der Singularität der Shoah” klar. Hervorzuheben ist zudem, dass als Teil einer ganzheitlichen Gedenkstättenförderung die Gründung eines Yad Vashem Education Centers in Deutschland unterstützt wird – ein wichtiges Zeichen gegen jede Art von Holocaustrelativierung.

Der Vertrag enthält damit eine Reihe wichtiger Maßnahmen zur wirksameren Bekämpfung von Antisemitismus. Darüber hinaus braucht es eine positive, zukunftsgerichtete Vision für jüdisches Leben in Deutschland, etwa zur Förderung jüdischer Pluralität, kultureller Sichtbarkeit und aktiver Teilhabe in der Gesellschaft.