Eine Gruppe hochrangiger Journalistinnen und Journalisten aus 14 europäischen Ländern besuchte Anfang April Israel, um sich rund anderthalb Jahre nach dem Terror des 7. Oktober 2023 einen Eindruck von der Situation vor Ort zu machen. Ziel der ELNET Delegation war es, ein tieferes Verständnis für die sicherheitspolitische und gesellschaftliche Lage in Israel zu ermöglichen – jenseits von Schlagzeilen und Stereotypen.
In der aktuellen Lage zeigt sich Israel im Spannungsfeld von Trauer, Widerstandskraft und Innovation. Der Austausch mit politischen und militärischen Entscheidungsträgern, Experten und Zivilgesellschaft sowie israelischen Journalistenkollegen vermittelte den vielschichtigen Eindruck eines Landes, das kämpft – um die Rückkehr der Geiseln, um das Vertrauen der Weltöffentlichkeit, aber letzten Endes stets zuerst um die eigene Sicherheit.
Zwischen Trauma und Protest: Die Geiselfamilien
Der Besuch des „Hostage Square“ in Tel Aviv war ein emotionaler Brennpunkt der Reise. Angehörige der noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln gaben bewegende Einblicke in ihren Alltag zwischen Hoffnung, Verzweiflung und immer lauterem Protest. Ihre Stimmen stehen symbolisch für ein Land, das sich nach Rückkehr und Aufklärung sehnt – und gleichzeitig seine Einheit bewahrt. Diese Begegnungen zeigten auch, wie sehr die israelische Gesellschaft kollektiv trauert und das individuelle Trauma der Geiseln und ihrer Familien als gesellschaftliche Aufgabe begreift. Malte Lehming, Teilnehmer der Delegation aus Deutschland, berichtet darüber im Tagesspiegel.
Zwischen Hightech und existenzieller Bedrohung: Die Sicherheitslage
Der Besuch in Nir Oz, einem vom Terror des 7. Oktober besonders betroffenen Kibbuz nahe der Gaza-Grenze, verdeutlichte die Brutalität des Angriffs. Zerstörte Häuser und leere Kinderzimmer – Zeugnisse eines kollektiven Traumas. Dass einige der Bewohnerinnen und Bewohner dennoch zurückkehren wollen, ist Ausdruck jener Widerstandsfähigkeit, die Israel seit Jahrzehnten prägt.
Das anschließende Treffen mit einem IDF-Sprecher sowie der Besuch einer Iron Dome Batterie zeigten, wie sich Israel gegen tägliche Raketenangriffe schützt. Dabei hilft dem Land seit jeher auch der sogenannte „Qualitative Military Edge“ – Israels Vorsprung bei Innovationen, die seine militärische Überlegenheit und somit die Sicherheit des jüdischen Staates sicherstellen. Innovation und Fortschritt sind hier kein Luxus, den man sich bei ausreichend finanziellem Polster leistet, sondern Überlebensversicherung.



Politische Gespräche und journalistischer Austausch
In Jerusalem standen Gespräche mit Mitgliedern der Knesset auf dem Delegationsprogramm – aus Regierung wie Opposition. Sie vermittelten ein Bild der politischen Spannungen, aber auch der Einigkeit in existenziellen Fragen. Die Delegation traf MK Shelly Tal Meron (Yesh Atid) und MK Dan Iluz (Likud), die offen über sicherheitspolitische Prioritäten und Israels Position in der Welt sprachen.
Auch mit dem renommierten arabisch-israelischen Journalisten Khaled Abu Toameh traf die Delegation zusammen. Seine differenzierte Analyse zur arabischen Bevölkerung Israels, zur palästinensischen Führung und zu gängigen Narrativen in der Berichterstattung zur gesamten Region eröffnete neue Perspektiven.
Eine möglichst differenzierte Berichterstattung wurde auch mit Vertretern von NGOs wie CAMERA (Committee for Accuracy in Middle East Reporting in America) und IMPACT-se (Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education) diskutiert. Ergänzt wurde dies durch Einblicke in die psychosoziale Arbeit des ICAR-Kollektivs, das innovative Konzepte zur kollektiven Trauma-Verarbeitung entwickelt. In einem Land, in dem Angst und Verlust allgegenwärtig sind, wird mentale Widerstandskraft zur gesellschaftlichen Ressource.


Startup Nation inmitten des Krieges: Zukunft als Strategie
Israel als Hub für Spitzentechnologien bleibt auch im Ausnahmezustand wirtschaftlich innovationsfreudig. Jeremie Kletzkine, seit zwei Jahrzehnten tief im Startup-Ökysystem verwurzelt, präsentierte der Delegation aktuelle Entwicklungen und verdeutlichte, wie dynamisch das israelische Ökosystem weiterhin agiert. Israel zeigte sich den Delegationsteilnehmern kontrastreich: ein Land im Ausnahmezustand, das gleichzeitig an der Zukunft baut.
Die Entwicklungen seit dem 7. Oktober verdeutlichen einmal mehr die Bedeutung einer ausgewogenen und differenzierten Berichterstattung – für die Menschen in der Region ebenso wie in Europa. Das fünftägige Programm hat den mitreisenden Journalistinnen und Journalisten die Widersprüche einer Realität offenbart, die sich nicht immer in einfache Headlines fassen lässt. Thomas Vieregge porträtiert abschließend verschiedene Eindrücke für die österreichischen Tageszeitung Die Presse.





