„Die Zweistaatenlösung ist tot“ – Richard C. Schneider zur Zukunft des Nahostfriedensprozesses

„Die Zweistaatenlösung wird es eigentlich nicht mehr geben können, wenn man sich die Politik und die Politiker auf beiden Seiten anschaut (…). Jeder hat sich längst mit der Besatzung eingerichtet und jeder weiß, inklusive der Palästinenser, dass diese Besatzung auch nicht aufhören wird,“ so die nüchterne Analyse des Israel Experten Richard C. Schneider zur Zukunft der Nahost-Friedensverhandlungen. 

Dies läge auch daran, sagt Schneider weiter, dass die Palästinenser „seit vielen, vielen Jahren völlig unfähig (sind) sich eine Einheitsregierung zu geben, die gemeinsam in einer konzentrierten Aktion versucht mit den Israelis zu reden.“ Die israelische Bevölkerung, so Schneider, interessiere sich momentan wenig für die Friedensdebatte. Überschattet werde dieses Thema in Israel durch steigende Covid-19 Infektionsraten und die mit der Pandemie einhergehende Arbeitslosigkeit.

Richard C. Schneider ist langjähriger Berichterstatter für Israel und die Palästinensischen Gebieten, unter anderem war er Leiter des ARD Fernsehstudios in Tel Aviv. Heute arbeitet er als Editor-at-Large für die ARD, pendelt zwischen Deutschland und Israel und kennt die Irrungen und Wirrungen des politischen Lebens in Israel und den palästinensischen Gebieten genau. Vergangene Woche lud ELNET Deutschland Politiker und Außenpolitikexperten zu einem virtuellen Fachgespräch mit Richard Schneider, um über den Friedensplan der Trump Administration, mögliche unilaterale Handlungen der israelischen Regierung und die Reaktionen aus Deutschland und Europa zu diskutieren.

Unter dem Eindruck der Covid-19 Pandemie einigten sich im Mai die zerstrittenen Fraktionen in Israel auf eine nationale Einheitsregierung geführt von Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Benny Gantz. Als Teil des Koalitionsvertrages steht im Raum, dass ab Juli Israel Teile des Nahostfriedensplanes der Trump-Administration umsetzen könnte, nämlich indem es Gebiete im Westjordanland unter israelische Souveränität stellt.

Der wichtigste Faktor bei dieser Entscheidung, erklärte Schneider, wird für Netanjahu dabei die Position Washingtons sein. Innerhalb der Trump Administration streiten nach wie vor verschiede Lager darüber, welche Schritte die U.S. Regierung unterstützen würde. Dabei ist insbesondere Trumps Schwiegersohn Jared Kushner darauf erpicht, dass Israel nicht einfach die für Netanjahu attraktiven Teile des Friedensplans umsetzt, ohne im Rahmen des U.S. Friedensplans in Verhandlungen mit den Palästinensern zu treten, analysierte Schneider. 

Die Position der Palästinenser bleibt stark geschwächt. Sie können nicht mehr auf die Unterstützung durch die arabischen Staaten hoffen, die sie früher genossen. „Den meisten arabischen Staaten ist ziemlich egal was mit den Palästinensern geschieht, es interessiert sie überhaupt nicht mehr,“ so Schneider in der Onlinediskussion. Ein Grund dafür ist die zunehmende Kooperation zwischen Israel und den arabischen Staaten im Kampf gegen Irans regionale Politik. Nichtsdestotrotz ist zu erwarten, dass die arabischen Staaten, insbesondere Jordanien, ihre Ablehnung gegen eine Einverleibung weiter Teile des Westjordanlandes zum Ausdruck bringen werden.

Auch deshalb bleibt es unwahrscheinlich, dass sich Netanjahu der gesamten im U.S. Friedensplan in Aussicht gestellten 30% des Westjordanlandes ermächtigt. Strategisch würde dies für Israel zu viele Probleme mit sich bringen, so Schneider. Insbesondere die Opposition aus Jordanien, der EU und den Demokraten in den USA, halten Netanjahu von einer solchen Maßnahme ab.

Stattdessen erwartet Schneider eher eine „symbolische“ Handlung, bei der Netanjahu Israels Souveränität auf drei große Siedlungsblöcke, Ma’ale Adumim, Gush Etzion und Ariel, erweitern könnte. Siedlungsblöcke, von denen bereits in vorherigen Verhandlungsrunden erwartet wurde, dass diese Teil Israels sein werden. 

Ähnlich nüchtern betrachtete Schneider auch Europas Einfluss auf den Nahostkonflikt und die Entscheidungsfindung in Israel. „Die Europäer (spielen) überhaupt keine Rolle, weil sie keinerlei politisches Gewicht haben,“ resümierte der Nahostexperte. Ein besonderes Problem der Europäer sei dabei, dass nach wie vor mit der derzeitigen Palästinenserführung keine Verhandlungen zu einer Zwei-Staaten Lösung machbar seien. Insofern würden die Forderungen nach einer solchen diplomatischen Initiative hohl klingen. „Was die Europäer lernen müssen, ist dass sie in vielen Bereichen was den Nahostkonflikt betrifft (…) extrem naiv sind.“

Der Analyse Richard Schneiders folgend wird klar, dass Deutschland und Europa eine neue, realistischere Position bezüglich des Nahostkonfliktes und des Nahen Ostens formulieren müssen. Nur so werden die Europäer in Zukunft die Ereignisse im Nahen Osten effektiv beeinflussen können.