Der Wiederaufbau von Gaza: Herausforderungen und Chancen

Europa sollte dazu beitragen, den Gazastreifen nachhaltig zu verändern und gleichzeitig der Hamas die Mittel zur Wiederbewaffnung verwehren.

Der aktuelle Waffenstillstand bietet eine gute Gelegenheit, wichtige Schlüsse aus der wiederholten Gewalteskalation durch die Hamas zu ziehen und nach effektiven und umfassenden Lösungen für Gaza zu suchen. Es gilt dabei sicherzustellen, dass die Hamas keinen Vorteil aus den vorangegangenen Angriffen auf Israel ziehen kann.

Bereits am 13. Mai 2021 rief ELNET die europäischen Regierungen dazu auf, Israel in seinem Recht auf Selbstverteidigung gegen den am 10. Mai 2021 begonnen drastischen Beschuss der Zivilbevölkerung Israels durch die Terrororganisation Hamas zu stärken und zu unterstützen. 

Die signifikante Minderung der militärischen Kapazitäten der Terrororganisation die durch die israelische Verteidigung erzielt wurde, sollte von den europäischen Staaten dazu genutzt werden, durch eine Strategieänderung die bisherigen Dynamiken vor Ort zu durchbrechen und künftige Gewaltausbrüche zu verhindern. 

Der Kern des Problems in Gaza besteht darin, dass es von der Hamas kontrolliert und regiert wird – einer islamistischen Bewegung, welche die Palästinensische Autonomiebehörde bei der Führung der Palästinenser ersetzen will, sich für eine antiwestliche und antiliberale Ideologie einsetzt und offen die Zerstörung Israels fordert. Die Hamas wird von der EU als terroristische Vereinigung geführt, identifiziert sich mit der vom Iran geführten „Widerstandsachse“ und lehnt die Zwei-Staaten-Lösung als konfliktbeendende Lösung ab. Langfristiges Ziel sollte daher sein, die Hamas zu entwaffnen, den Gazastreifen zu entmilitarisieren. und die Hamas-Regierung durch eine friedvolle palästinensische zu ersetzen. 

Der Schutz der internationalen Hilfen vor einem Missbrauch durch die Hamas und den Islamischen Jihad liegt vor allem im Interesse der Zivilbevölkerung des Gazastreifens. Die europäischen Staaten können eine signifikante Rolle beim Aufbau eines Mechanismus spielen, der einen nachhaltigen Wiederaufbau des Gazastreifens und ein menschenwürdiges Leben dort ermöglicht und gleichzeitig eine Wiederbewaffnung der Hamas und anderer terroristischen Gruppierungen sowie die Bedrohung von Zivilisten auf beiden Seiten verhindert.

Die Hamas und der Islamische Jihad haben die Zeit nach der letzten bewaffneten Auseinandersetzung in 2014 dazu genutzt, um sowohl ihre militärischen Kapazitäten – über 4.000 Raketen wurden innerhalb weniger Tage auf Israel abgefeuert  –  als auch die dazu notwenige Infrastruktur aufzubauen. Mit der sogenannten „Gaza-Metro“ entstand ein extrem kostspieliges und weitreichendes Tunnelgeflecht zum Schutz von Terroristen, ihren Anführern und Waffen. Es ist offensichtlich, dass ein solches Bauwerk ohne einen Missbrauch, der für den zivilen Wiederaufbau des Gazastreifens durch die internationale Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellten Materialien und Mittel, nicht möglich gewesen wäre. Dies geschah vor allem auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens der palästinensischen Bevölkerung.

Der bisherige, seit 2014 geltende „Gaza Reconstruction Mechanism“ zur Überwachung des Wiederaufbaus des Gazastreifens erwies sich als ineffizient. Internationale Bemühungen zum Ausbau der Grundinfrastruktur waren zu langsam und die Verwendung der Mittel wurde unzureichend überwacht. Der Erfolg der Hamas beim Wiederaufbau der militärischen Infrastruktur und Fähigkeiten verdeutlicht vor diesem Hintergrund das Scheitern der an einer wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung des Gazastreifens interessierter Akteure. 

Nur eine neue mit ausreichend Personal, Ressourcen und Befugnissen ausgestattete internationale Mission vor Ort kann diese Fehler korrigieren. Die europäischen Staaten und die EU besitzen die notwendigen Fähigkeiten und Mittel, um eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung einer solchen Mission zu übernehmen. Dies würde gerade in Zeiten der weltweiten Pandemie auch anderen Geldgebern, wie z.B. den USA und den arabischen Staaten, das notwendige Vertrauen geben, dass ihre Hilfen zielgerichtet eingesetzt und nicht missbraucht werden. Gerade durch die neue US-Administration und den Normalisierungsprozess zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ergibt sich eine günstige Gelegenheit, um diese Akteure aktiv, produktiv und nachhaltig einzubinden.

Um sicherzustellen, dass die Hamas nicht auf Kosten der Palästinensischen Autonomiebehörde aufgewertet wird, sollten die europäischen Regierungen die politische Dimension des Konflikts in einem separaten Dialog mit Israel, der Palästinensischen Autonomiebehörde, den USA und weiteren regionalen Partnern adressieren.