„Der Iran wurde nach dem Atomabkommen aggressiver“

Das folgende Interview wurde am 10. Dezember 2019 in Berlin geführt. Aus dem Englischen übersetzt durch ELNET Deutschland. 

Der frühere Nationale Sicherheitsberater Israels, Generalmajor Yaacov Amidror, ist überzeugt, dass deutsche Politiker einen zu naiven Blick auf das iranische Regime haben. Die Europäer haben sich in ihrer Annahme verkalkuliert, dass die Unterzeichnung des Atomabkommens das Verhalten der Islamischen Republik mässigen würde. „Das ist nicht passiert“, sagte Amidror und fügte hinzu, „der Iran wurde nach dem Atomabkommen aggressiver als vor dem Abkommen.“

ELNET Deutschland interviewte Generalmajor Amidror am Rande des Deutsch-Israelischen Strategischen Forums 2019, das von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Forum of Strategic Dialogue und ELNET organisiert wird. Die Konferenz, die im Bundesverteidigungsministerium stattfand, brachte amtierende und ehemalige deutsche und israelische Beamte und Abgeordnete zusammen, um den Stand der deutsch-israelischen Beziehungen in Zeiten wachsender Großmachtrivalität, Cyber-Risiken und anhaltender Bedrohungen durch den Iran zu erörtern. 

Wie Deutschland und Israel auf die Bedrohungen durch das aggressive Verhalten des Iran und seiner regionalen Stellvertreter reagieren sollten, stand im Mittelpunkt vieler Diskussionen. Amidror argumentierte, dass im Umgang mit dem Iran militärische Optionen zur Beendigung seines Atomprogramms auf dem Tisch liegen müssen, damit diplomatische Ansätze eine Erfolgschance haben. Er blieb skeptisch, dass derzeitige diplomatische Anstrengungen mit dem Iran Früchte tragen würden. „Die Tatsache, dass (iranische Führer) nicht glauben, dass die Amerikaner ihre (militärischen) Fähigkeiten nutzen würden, ist ein sehr wichtiger Faktor für ihre Entscheidung, keinen Dialog zu führen“, argumentierte Amidror.

Die kürzlichen Proteste im Libanon, im Irak und im Iran entsprechen einer „zweiten Welle des arabischen Frühlings,“ die vor allem deshalb entstanden ist, weil „die Menschen keine Hoffnung für die Zukunft haben,“ sagte Amidror. Im Moment haben die Proteste die Islamische Republik in die Defensive gezwungen und dies wird wahrscheinlich „die Iraner dazu bringen…, etwas vorsichtiger zu sein“, argumentierte Amidror. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, „muss über seine Legitimität im Libanon nachdenken“, fügte er hinzu.

Lesen Sie im Folgenden das vollständige Interview:

ELNET Deutschland: Angesichts der Wiedereinführung von US-Sanktionen tritt der Iran weiter von seinen, im Rahmen des JCPOA eingegangenen, Verpflichtungen zurück, unter anderem durch die Wiederaufnahme der Urananreicherung in der Fordo Atomanlage. Wie sollten die Europäer auf iranische Verstöße gegen das Atomabkommen reagieren?

Generalmajor Yaacov Amidror: Ich denke wir müssen die Iraner nicht nur auf Basis der Verletzung des (Atom-) Abkommens beurteilen, sondern das gesamte Bild ihrer Aggressivität im Nahen Osten betrachten. Sie sind stark miteinander verbunden. Es sind Teile derselben Politik der Iraner und sollten als Gesamtbild und nicht als einzelne Elemente beurteilt werden. Die Europäer müssen verstehen, dass wenn die Iraner nicht gestoppt werden, sowohl in ihrer Aggressivität in Syrien, im Irak und im Jemen als auch in ihrem nuklearen Militärprojekt, wird der Iran über Syrien und den Libanon das Mittelmeer erreichen und über eine nukleare Fähigkeit verfügen, die als ein Schutzschirm (zur Abschreckung) oder direkt (zum Angriff) gegen den Staat Israel genutzt werden wird. Es ist ein Schutzschirm, unter dem sie noch aggressiver werden würden oder der direkt zur Zerstörung Israels eingesetzt werden wird.

Am Ende werden sich die Europäer der Aggressivität der Iraner stellen müssen, weil die Iraner weitreichende Pläne für den Mittelmeerraum haben und ins Zentrum des Weltgeschehens zurückkehren wollen. Es geht nicht nur um den Nahen Osten. Der Nahe Osten ist der Anfang und das erste Ziel ist es Israel zu zerstören, aber aus iranischer Sicht ist dies nicht das Ende. In die Zukunft blickend müssen Menschen bedenken, dass wenn der Iran nicht eingedämmt wird und sowohl über nukleare Fähigkeiten als auch über die Fähigkeit verfügt, Länder entlang des Mittelmeers zu kontrollieren oder zu beeinflussen, wird der Iran letztendlich ein europäisches Problem sein.

ELNET Deutschland: Wie schätzen Sie die Chancen für diplomatische Fortschritte mit dem Iran vor den Präsidentschaftswahlen im November 2020 in den USA ein? Auf welche Aspekte der iranischen Außenpolitik sollten sich westliche Staats- und Regierungschefs, in ihren Versuchen diplomatische Fortschritte mit dem Iran zu erzielen, konzentrieren?

YA: Ich bin sehr pessimistisch in Bezug auf einen solchen Dialog und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, was Sie eben erwähnt haben, träumen die Iraner von einem anderen Präsidenten in Washington, der offener für die iranischen Bedürfnisse sein wird. Und in gewisser Weise wollen sie jeglichen Dialog erst nach den (US) Wahlen führen. Und der zweite ist, dass man die Iraner nicht davon überzeugen kann, den Traum eine Supermacht zu sein, aufzugeben, ohne die militärische Option auf den Tisch zu legen. Und weil sie verstehen, dass die militärische Option, zumindest aus amerikanischer Sicht, nicht auf dem Tisch liegt, wird es sehr schwer sein, sie davon zu überzeugen, in einen ernsthaften Dialog zu treten. Ja, sie wissen, dass Israel ihre Streitkräfte einsetzen könnte. Aber für die Iraner gibt es einen großen Unterschied zwischen der Fähigkeit Israels, einen Teil des iranischen Atomprojekts zu zerstören, und der Fähigkeit der Amerikaner, es vollständig zu zerstören. Deshalb ist es so wichtig, dass die militärische Option auf dem Tisch liegt.

Im Übrigen, als Präsident Obama sein Amt antrat, stellte er fest, dass die Amerikaner nicht die Fähigkeit besitzen, die iranischen Atomanlagen zu zerstören. Einer seiner ersten Anordnungen in Bezug auf den Iran war der Aufbau dieser Fähigkeit, und es gelang den Amerikanern die Fähigkeit zu demonstrieren, die Atomanlagen im Iran zu zerstören. Ich denke, dass dies eines der Elemente war, welches die Iraner an den Verhandlungstisch gebracht hat. Natürlich mit Sanktionen und wirtschaftlichem Druck. Aber die Tatsache, dass (die Iraner) im Hinterkopf wussten, dass die Amerikaner im Gegensatz zu früher über diese Fähigkeit verfügen, war ein sehr wichtiger Faktor bei ihrer Entscheidung. Und heute ist es genauso. Die Tatsache, dass sie nicht glauben, dass die Amerikaner ihre (militärischen) Fähigkeiten nutzen würden, ist ein sehr wichtiger Faktor für ihre Entscheidung, keinen Dialog zu führen.

ELNET Deutschland: In Bezug auf die jüngsten regionalen Entwicklungen haben massive Proteste den Nahen Osten erfasst, vom Libanon zum Irak und Iran. Wie werden sich diese politischen Umwälzungen Ihrer Einschätzung nach auf die Sicherheit Israels auswirken? Erhöht es den Druck auf den Iran und seine Stellvertreter, zum Beispiel die Hisbollah, limitierte Angriffe auf israelische Positionen zu starten, um innenpolitischen Druck abzubauen?

YA: Ich denke im Gegenteil. Diese Demonstrationen sind ein Ausdruck der schlecht funktionierenden Administrationen in all diesen Ländern. In gewisser Weise sind sie eine zweite Welle des arabischen Frühlings, die hauptsächlich deshalb entstanden ist, weil die Menschen keine Hoffnung für die Zukunft haben. Und das ist die heutige Situation im Iran, im Irak, im Libanon und an anderen Orten im Nahen Osten. In vielen Fällen ist der Hauptgrund für den arabischen Frühling nicht verschwunden. Die Gründe sind immer noch da, es ist ein massives Problem auf den Straßen und für das Gefühl der Menschen. Und jetzt sehen wir die Ergebnisse im Irak, im Libanon und im Iran. Und in diesem Fall gibt es eine Verbindung. Im Gegensatz zum Arabischen Frühling richten sich all diese Proteste gegen Regierungen oder Systeme, die von den Iranern kontrolliert werden. Im Irak wurden die Demonstrationen von Milizen niedergeschlagen, die von den Iranern kontrolliert wurden. Es waren nicht die irakischen Sicherheitskräfte, sondern vom Iran kontrollierte Milizen, schiitische Milizen. Und im Libanon steht außer Frage, dass die Hisbollah die stärkste, von den Iranern kontrollierte, Organisation (im Land) ist.

Ich denke, dass dies mit Sicherheit (die Hisbollah) im Libanon aber wahrscheinlich auch die Iraner dazu bringen wird, etwas vorsichtiger zu sein. Nasrallah muss über seine Legitimität im Libanon nachdenken. Es ist ein sehr heikler Moment, einem größeren Angriff durch Israel ausgesetzt zu sein, wenn Nasrallah etwas initiiert. Ich bin mir nicht sicher, ob es auf den Iran zutrifft – ob sie ihre Politik im Nahen Osten und ihre Aggressivität fortsetzen können – aber ich bin mir sicher, dass Nasrallah vorsichtiger sein wird.

ELNET Deutschland: Wenden wir uns abschließend den deutsch-israelischen Beziehungen zu. Unabhängig von der kurzfristigen politischen Zukunft in Israel wird Israel sowohl aus historischen als auch aus Gründen der nationalen Sicherheit eine der wichtigsten deutschen Partner in der Region bleiben. Gleichzeitig gibt es weiterhin Meinungsverschiedenheiten zu Themen, die vom israelisch-palästinensischen Friedensprozess bis zum Iran reichen. Wie können deutsche und israelische Staats- und Regierungschefs Meinungsverschiedenheiten angehen und weitere Fortschritte bei der Stärkung der deutsch-israelischen Beziehungen erzielen?

YA: Ich denke, dass Deutschland in Bezug auf den Iran einen großen Fehler macht, der auf Naivität über die Fähigkeit das Verhalten des iranischen Regimes zu mäßigen, beruht. Dies war die Annahme, nachdem das Atomabkommen unterzeichnet wurde. Die Menschen hier in Europa sagten, dass dies der erste Schritt ist und dass es zu einem anderen Iran führen wird, dass dieser weniger aggressiv sein wird. Frau Mogherini (Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik a.D.) war diesbezüglich sehr klar, aber man konnte das gleiche Argument hier in Berlin hören. Das ist nicht passiert. Der Iran wurde nach dem Atomabkommen aggressiver als vor dem Abkommen. Ich denke, in Bezug auf die Iraner gibt es eine Art Naivität in der deutschen Haltung.

In Bezug auf den Konflikt mit den Palästinensern ist dies ein Argument über Werte, Interessen und Politik. Hier ist es komplizierter, wo die Wahrheit weniger gut verstanden wird. Ich persönlich glaube, dass die Palästinenser kein Abkommen wollen. Wann immer ihnen von israelischen Regierungschefs etwas angeboten wurde, das ihren Forderungen sehr nahe kommt, sei es von Ehud Olmert oder Ehud Barak, weigerten sie sich, die Gelegenheit zu nutzen. Hier werden wir weiter streiten, wir müssen vorsichtig sein mit dem, was wir tun. Aber am Ende ist Israel ein souveräner Staat und wir werden tun, was die gewählte Regierung Israels über die Interessen des Staates Israel denkt. Wir werden die Ansichten von Freunden auf der ganzen Welt in Betracht ziehen, aber am Ende ist es unsere Entscheidung über unsere Zukunft.