Auch im Jahr 2022 hat die Anzahl antisemitischer Übergriffe in Deutschland wieder zugenommen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Die Zahl antisemitischer Gewaltdelikte ist demnach von 63 im Jahr 2021 auf 88 gestiegen, hierunter fallen beispielsweise Körperverletzung und räuberische Erpressung. Insgesamt wurden für das Jahr 2022 bislang 2.639 Übergriffe mit antisemitischem Hintergrund registriert. Diese Zahl liegt damit noch unterhalb der 3.028 Delikte, die für 2021 erfasst wurden. Da jedoch noch keine Nachmeldungen aus dem vierten Quartal 2022 vorliegen, wird die Zahl noch merklich ansteigen.
Der kontinuierliche Anstieg von antisemitisch-motivierten Straftaten ist bereits seit Jahren zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die gemeldeten Vorfälle, die Dunkelziffer ist somit nicht erfasst und liegt weit höher. Im Vergleich zu den 3.028 Delikten, die 2021 registriert wurden, lag diese Anzahl 2015 noch bei 1.366. Die Häufigkeit der Übergriffe hat sich somit mehr als verdoppelt. Der größte Anstieg wurde zwischen 2020 und 2021 verzeichnet, was vordergründig auf die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungstheorien, während der Pandemie zurückzuführen ist. Expertinnen und Experten identifizieren israelbezogenen Antisemitismus als die wirkungsmächtigste Form von Antisemitismus. Auch der islamisch-motivierte Judenhass wird immer virulenter. Der mit Abstand stärkste Anstieg in der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität des BMI wird jedoch in der Kategorie des rechtsradikal-motivierten Antisemitismus verzeichnet.
Auch international nimmt Antisemitismus seit Jahren zu. In den USA, die traditionell als sicherer Hafen für jüdisches Leben galten, fühlen sich laut einer Umfrage des Pew Research Centers 53 Prozent der jüdischen Bürgerinnen und Bürger zunehmend unsicher. Auf europäischer Ebene zeigt sich dies beispielhaft in Großbritannien und Frankreich, wo die größten jüdischen Gemeinden Europas beheimatet sind. In Großbritannien hat sich die Anzahl antisemitischer Übergriffe zwischen 2012 und 2021 fast verdreifacht. In Frankreich fühlen sich Jüdinnen und Juden im europäischen Vergleich am unsichersten, sodass sich bereits Tausende zur Auswanderung entschlossen haben. Trotz zunehmender Übergriffe auf jüdisches Leben in Europa haben lediglich 14 von 27 EU-Mitgliedsstaaten eine Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus entwickelt. In manchen Ländern wie etwa Polen und Portugal werden antisemitische Straftaten nicht einmal separat in der Kriminalstatistik erfasst. Die europäische Agentur für Grundrechte (FRA) appellierte deshalb mit Nachdruck für ein stärkeres Vorgehen gegen Judenhass.
Dies wird auch auf nationaler Ebene von Institutionen wie dem Zentralrat der Juden gefordert. Repräsentative Umfragen belegen zwar, dass die Mehrheit der Deutschen Judenfeindlichkeit als wachsendes Problem einstuft. Gleichzeitig teilen signifikante Bevölkerungsanteile antisemitische Vorurteile, wie etwa die Annahme, dass Jüdinnen und Juden zu viel Einfluss in der Wirtschaft (23 Prozent) sowie in der Politik (18 Prozent) hätten. Außerdem belegen dieselben Umfragen einen klaren Zusammenhang zwischen einer kritischen bis feindlichen Einstellung zum Staat Israel und Antipathien gegenüber Jüdinnen und Juden. In einer von ELNET durchgeführten Umfrage gaben außerdem 62 Prozent der befragten deutschen Abgeordneten an, israelbezogen Antisemitismus als ein großes Problem wahrzunehmen.
Als Reaktion auf den wachsenden Antisemitismus hat die Bundesregierung im November 2022 erstmals eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben vorgestellt. Primäres Ziel der Strategie ist es, bestehende Maßnahmen und Programme zu überprüfen und sinnvoll zu ergänzen. Auch die EU hat eine Strategie zur Antisemitismusbekämpfung mit ähnlicher Methodik entwickelt, die im Zeitraum von 2021 bis 2030 umgesetzt werden soll.
Vor diesem Hintergrund lädt ELNET am 28. März 2023 erstmals zu Actions Matter – The International Antisemitism Summit in Berlin. Die Konferenz soll dem Austausch führender internationaler Entscheidungsträger aus Politik, Verwaltung, Kultur und Wissenschaft eine Bühne eröffnen. Dabei soll in Panels, Workshops und Vorträgen eine Bestandsaufnahme zu bestehenden Maßnahmen auf EU- und Nationalstaaten-Ebene erfolgen, Best-Practice-Beispiele geteilt und gemeinsame Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Übergeordnetes Ziel ist es, künftig gezielt und mit vereinter Kraft Hass gegen Juden zu bekämpfen.
Das vollständige Programm der Konferenz kann hier eingesehen werden.