Israel steht im Superwahljahr. Nachdem die Knesset am 29. Mai für ihre Auflösung stimmte und so den Weg für Neuwahlen ebnete, trat die israelische Bevölkerung am 17. September erneut an die Wahlurnen. Ähnlich wie im April lieferten sich die beiden größten Parteien Likud und Blau-Weiß auch bei den Knessetwahlen im September ein knappes Kopf-an-Kopf Rennen. Anders jedoch als im Frühjahr, erlag der Likud (32 Sitze) erstmals seinem Rivalen Blau-Weiß (33 Sitze). Vor diesem Hintergrund hatte keiner der beiden Parteien gute Chancen auf ein stabiles Regierungsbündnis und eine einfache Koalitionsbildung. Weder das traditionell rechte Bündnis bestehend aus dem Likud, Shas, dem Vereinigten Torah Judentum und Yamina, noch der links-gerichtete Block geführt von Blau-Weiß, Labor-Gesher und der Demokratischen Union konnten die nötige Mehrheit von 61 Mandaten erlangen.
Dies bedeutet, dass sowohl die Vereinte Liste als auch Avigdor Liebermann (Israel Beiteinu) das Zün glein an der Waage spielen. Letzterer hatte bereits im Vorfeld der Wahlen angekündigt, eine große Koalition mit dem Likud und Blau-Weiß anzustreben. Dieser Vorschlag stieß jedoch bei Blau-Weiß auf Widerstand. Sondierungsgespräche zwischen den beiden Parteien verliefen erfolglos, nachdem sich beide nicht darauf einigen konnten, wer im Rahmen eines Rotationsprinzips als erstes den Premierminister stellen würde.
Kurzzeitig sah es danach aus, als gebe die Vereinte Arabische Liste einer Amtsübernahme durch Benny Gantz ihren Segen. Zehn der dreizehn Knessetabgeordneten sprachen sich für eine Regierung unter Blau-Weiß aus, wenn diese die Mindestforderungen der arabischen Liste umsetzen würde. Doch die Hoffnung schwand schnell: Nur einen Tag später stellte Balad, einer der vier Parteien im arabischen Bündnis klar, dass sie die Empfehlung für Gantz nicht mittragen wolle.
So kam es, dass Staatspräsident Rivlin am 25. September dem seit 2009 amtierenden Benjamin Netanjahu die Aufgabe der Regierungsbildung erteilte. Da der amtierende Premier und seine Bündnispartner bislang nur eine Mehrheit von 55 Sitzen in der Knesset hatten, folgten weitere Sondierungsgespräche mit Avigdor Liebermann, die jedoch erfolglos endeten. Schließlich musste Netanjahu am 22. Oktober seine Niederlage einräumen und das Mandat der Regierungsbildung an Oppositionsführer Benny Gantz übergeben.
Doch auch Gantz schaffte es nicht, innerhalb von 28 Tagen eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden. Nachdem Avigdor Liebermann bereits Netanjahu die nötige Unterstützung bei der Regierungsbildung verwehrt hatte, stellte er sich ebenfalls gegen die Möglichkeit einer Mitte-Links Minderheitsregierung mit Unterstützung der Vereinten Arabischen Liste. Nur wenige Stunde vor Ablauf der Frist gab Gantz seinen Regierungsauftrag an Staatspräsident Rivlin zurück.
Was nun kommt, stellt für Israel eine Zäsur dar. In einem letzten Versuch, eine dritte Parlamentswahl binnen eines Jahres abzuwehren, hat nun jede(r) Abgeordnete der Knesset die Möglichkeit, innerhalb 21 Tagen (also bis zum 11. Dezember) eine Mehrheit von 61 der insgesamt 120 Knessetmitglieder für eine Regierungsbildung hinter sich zu versammeln. Sollte dies tatsächlich gelingen, würde die oder derjenige zum designierten Premierminister ernannt werden und binnen 14 Tagen eine neue Regierung bilden müssen.
In Israel glauben derweil wenige Beobachter daran, dass eine Regierung innerhalb der gesetzten Frist tatsächlich zustande kommt. Somit zeichnet sich im Land eine dritte Parlamentswahl binnen eines Jahres ab. Diese würde voraussichtlich am 17. März 2020 stattfinden.
Weitere Details zu den Wahlergebnissen, welche Optionen für eine Regierungsbildung noch offen sind und wie der Strafverfolgungsprozess gegen Netanjahu die innenpolitische Lage Israels weiter verschärft, lesen Sie in unserem aktuellen Briefing „Israel im Superwahljahr“.