Mehr als Pragmatismus – Europa muss das Abraham-Abkommen ernst nehmen

Das Abraham-Abkommen hat im vergangenen Jahr eine neue Dynamik im Nahen Osten entfaltet. Mit insgesamt vier arabischen Staaten hat Israel Normalisierungs- beziehungsweise Friedensabkommen geschlossen. Für die konfliktgeprägte Region ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung mit einer Vielzahl von neuen Perspektiven. Europa war dabei nicht beteiligt. Vor diesem Hintergrund setzt sich ELNET für eine stärkere Rolle von Deutschland und Europa im Nahen Osten ein, um die weitere Normalisierung zu fördern und aktiv mitzugestalten. 

Mit dem nachfolgenden Gastbeitrag von Alexander Kulitz MdB, Außenhandels- und außenwirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, möchte ELNET zu laufenden Debatten beitragen und Raum für neue Impulse geben.

kkkk

Die Amtszeit des 45. Präsidenten der Vereinigen Staaten war geprägt von Ad-hoc Entscheidungen und außenpolitischer Unzuverlässigkeit, aber eins muss man Donald Trump lassen: Die Unterzeichnung des Abraham-Abkommens war ein historischer Akt. Ob es ein Friedenspakt ist, bleibt abzuwarten. Schließlich verbirgt sich dahinter vorrangig eine Allianz gegen den schiitischen Nachbarn Iran. Aber für die beiden Golfstaaten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Israel ist dieses Abkommen mehr als nur geopolitisches Taktieren. Die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Israel, den VAE sowie Bahrain schafft neue Perspektiven für die ganze Region des Nahen Ostens.

Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate sind längst hochtechnologisierte Startup- Nationen. Israel kann die weltweit höchste Startup-Dichte vorweisen. Aber auch in Dubai machen Star-ups bereits fast die Hälfte aller Unternehmen aus. Kulturell sind sich beide Akteure näher, als oft in der westlichen Welt angenommen. Schon seit Jahren gibt es zwar zarte Handelsbeziehungen zwischen Israel und den Emiraten, nie zuvor wurden sie aber offiziell bestätigt. So verfestigt sich die pragmatische Zusammenarbeit zwischen den Emiraten und Israel, die neben Handelsbeziehungen auch den Austausch von Technologien und die Zusammenarbeit der Geheimdienste beinhaltet.

Er erwarte umfangreiche Geschäftsabschlüsse mit einem Investitionsvolumen von „Milliarden von Dollar“, erklärte Ofer Akunis, Minister für regionale Kooperation im Kabinett von Israels Premier Netanjahu, der britischen Zeitung „Financial Times“.

Die VAE investieren bereits Milliarden in die Kernkraft und hoffen, vom Know-How der Isrealis zu profitieren. Und auch Israels hochentwickelte Technik für die Bereiche Sicherheit, Landwirtschaft und IT kann der Golfstaat nur allzu gut gebrauchen. Unter anderem sollen F-35 Kampfjets an die Emirate geliefert werden.

Besonders die kleineren und mittleren Unternehmen wolle man mit der Kombination aus Technologie und frischem Kapital anlocken, heißt es aus Abu Dhabi. Dafür hat die Regierung der VAE gerade ein umfangreiches Förderprogramm für KMUs aufgelegt. Schon heute beheimatet das Emirat am persischen Golf übrigens rund die Hälfte aller FinTech-Firmen in der MENA-Region (Middle East and North Africa) und können dementsprechend hohe Summen aus den Investitionsfonds einstreichen.

Auf Investitionen hofft auch Israel. Deswegen gibt es im Tausch gegen Technologie frisches Kapital aus prall gefüllten Kassen der Scheichs – ein lukratives Geschäft für beide Beteiligten. Dagegen scheint die Kritik anderer arabischer Staaten und vor allem der palästinensischen Regierung an dem Abkommen leicht verschmerzbar.

Schließlich will Dubai sich als internationale Handelsmetropole von den Handelshemmnissen, die die Region seit Jahrzehnten zurückhalten, emanzipieren. Die Führung der Emirate weiß, dass der Konflikt mit Israel immer einer Zusammenarbeit mit westlichen Märkten entgegenstehen wird. Nur eine Entkoppelung religiöser und wirtschaftlicher Belange wird Dubai helfen, globales Drehkreuz zwischen den Kontinenten zu werden. Hätte Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan diesen Schritt nicht getan, dann hätte ihn über kurz oder lang ein anderes Staatsoberhaupt der Region gewagt.

Diese Signale sollte man auch in Europa ernst nehmen und darauf angemessen reagieren. Der Nahe Osten ist schon längst nicht mehr nur die „Krisenregion“, die Demokratie-Hilfe von Übersee braucht. Längst hat sich hier eine neue handelspolitische Dynamik entwickelt, die reiche Früchte tragen wird.

Europa muss sich klar dazu positionieren, will es daran beteiligt sein. Insbesondere in der Iran-Frage. Das offene Ende des Iran-USA-Deals, in dem die europäischen Länder bislang eine halbherzige Vermittlerrolle einnehmen wollen, passt da nicht mehr ins Bild. Europa krankt an der eigenen Arroganz, die nicht sehen will, wie sich der globale Handel weiterentwickelt. Europa schafft es bislang nicht, ideologische und wirtschaftliche Interessen voneinander zu trennen. Deswegen werden auch dringend benötigte Abkommen wie CETA und Mercosur nicht ratifiziert, deswegen herrscht Stillstand.

Anderenorts ist man da weiter. Und nicht zuletzt dokumentiert die verstärkte Zusammenarbeit der Arabischen Emirate und Israel abseits religiöser Gräben einen Generationenwandel. Das Abkommen wird Katalysator für wirtschaftliche Kooperationen werden, das das alte Lagerdenken nachrangig werden lässt.

k

Alexander Kulitz ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort ist er ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

Darüber war Kulitz ehrenamtlich als Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren engagiert, dem größten Verband von Unternehmern und Führungskräften unter 40 Jahren. Darüber hinaus ist er Mitglied der Jungen Unternehmer, des Family Business Network, Beirat im Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge, Mitglied im DIHK Ausschuss „Industrie und Forschung“ und VDMA Strategiekreis „Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit“ sowie Senator der Junior Chamber International (JCI).