3 Fragen – 3 Antworten mit Kerstin Müller

Die Interviewreihe „3 Fragen – 3 Antworten“ von ELNET Deutschland geht weiter. Diesmal ist Kerstin Müller Gesprächspartnerin und erklärt die aktuellen politischen und diplomatischen Entwicklungen im Nahen Osten, mit Blick auf den Frieden Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, sowie die Perspektiven der Zweistaatenlösung.

Kerstin Müller ist seit April 2019 Senior Asscoiate Fellow im Programm Naher Osten und Nordafrika der DGAP. Insbesondere der israelisch-palästinensische Konflikt und die deutsch-israelischen Beziehungen stehen seit vielen Jahren im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Zuvor leitete sie von 2013 bis 2018 als Direktorin das Israelbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv. Von 1994 bis 2013 war sie für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Deutschen Bundestag. In dieser Zeit war sie von 1994 bis 2002 Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion und in der zweiten Legislaturperiode der rot-grünen Regierungskoalition von 2002 bis 2005 als Staatsministerin im Auswärtigen Amt tätig. Von 2005 bis 2013 war sie als Mitglied des Auswärtigen Ausschuss außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, sowie stellvertretende Vorsitzende des Unterausschuss für zivile Krisenprävention.

ELNET Deutschland (ED): Israel formalisiert die Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten – der Golfstaat will sich Israel annähern. Auch Bahrain will seine Beziehungen zu Israel normalisieren. Wie schätzen Sie die Auswirkungen dieser Abkommen ein, sehen Sie ein Ende vom arabisch-israelischen Konflikt und neue Perspektiven für die geopolitische Lage im Nahen Osten?

Kerstin Müller: Die Abkommen der VAE und Bahrain mit Israel, vermittelt durch die USA, sind der Beginn einer Normalisierung der israelisch-arabischen Beziehungen und müssen als diplomatischer Coup bezeichnet werden – Trump hin oder her. Es ist allerdings ein Friedensschluss ohne die Palästinenser, denn die alte Formel der arabischen Friedensinitiative von 2002 „Normalisierung der Beziehungen nur gegen ein Ende der Besatzung“ scheint damit ad acta gelegt zu sein.
Wenn Deutschland und mit ihr die EU nicht länger Zaungast bei diesen Entwicklungen bleiben wollen, müssen sie sich nun endlich in Nahost strategisch neu aufstellen. Das bedeutet zum einen den Dialog über die Alternativen und Modifikationen zur 2-Staaten-Regelung zu eröffnen. Zum anderen geht es bei den Vereinbarungen Israels mit Teilen der arabisch-sunnitischen Welt vor allem erst einmal um einen ökonomischen Frieden. Hier könnte die EU und Deutschland gemeinsam mit den Palästinensern eine Strategie entwickeln, wie auch diese an der ökonomischen Öffnung teilhaben können. 

ED: Die deutsche Nahostpolitik orientiert sich seit jeher an der Zwei-Staaten-Lösung, die einen sicheren, jüdischen Staat Israel auf der einen und einem autonomen, lebensfähigem Staat Palästina auf der anderen Seite vorsieht. Wie sinnvoll und realistisch ist es im Hinblick auf die Entwicklungen des Nahostkonflikts, weiterhin an diesem Konzept festzuhalten?

Kerstin Müller: Die Entwicklungen in Nahost machen deutlich, dass die 2-Staaten-Regelung, so wie in Oslo anvisiert, am Ende ist, denn die wichtigsten politischen Bedingungen für ihre Durchsetzung sind nicht mehr gegeben: Nicht nur, dass die Prioritäten der arabischen Länder sich verschoben haben – im sunnitisch-schiitischen Konflikt ist Iran der Hauptfeind. Daher versucht man mit Israel und den USA ein neues Bündnis gegen den Iran zu schmieden. Außerdem haben sich die wichtigsten Akteure vor Ort, allen voran Israel, im Status quo eingerichtet. Zudem hat die Vorlage des Trump-plans gezeigt, dass die USA als ehrlicher Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt ausfallen. Denn der Trump-plan, der sich als realistische 2-Staaten-Lösung präsentiert hat, zementiert de-facto die gegenwärtige Einstaatenrealität, einschließlich des bestehenden Flickenteppichs aus Siedlungen und palästinensischen Dörfern und Städten, verbunden durch ein Tunnel- und Straßensystem, selbst illegale Outposts sollen erhalten bleiben. Ein Plan also, der daher für die palästinensische Seite nicht akzeptabel erscheint. 
Es ist daher dringend nötig, dass sich die deutsche Bundesregierung, aber auch die EU den Realitäten vor Ort stellen: Sie müssen statt weiter einen toten Tiger  – die 2-Staaten-Regelung – zu reiten, sich endlich offen für eine Diskussion über die Alternativen zeigen. Denn sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite wird inzwischen ein breites Spektrum an Ideen diskutiert: Angefangen von einer Einstaatenregelung in Form eines binationalen demokratischen Staates – ein Konzept, das allerdings problematisch ist, weil es, wie die Annexion, das Ende des mehrheitlich jüdischen Staates bedeuten würde. Bis hin zu den Konzepten einer Konföderation und einer Föderation liegen verschiedene Alternativen auf dem Tisch, die für beide Seiten gangbar sein könnten.

ED: Viele deutsche und europäische Außenpolitiker fordern einen verstärkten Dialog mit Israel und den Palästinensern. Dabei bleibt unbeantwortet, welche politischen Maßnahmen Deutschland und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union tatsächlich ergreifen können, um einen friedensstiftenden Einfluss auf den Konflikt zu nehmen. Sehen Sie Ansatzmöglichkeiten für Deutschland und die EU, um die Konfliktparteien wieder zu direkten Verhandlungen zu bewegen?

Kerstin Müller: Es ist zur Zeit sehr unwahrscheinlich, dass die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurückkehren. Auf Seiten Israels gibt es zur Zeit wohl kaum einen Grund für Verhandlungen, da zur Zeit fast alle Forderungen des rechtsnationalen Regierungsbündnisses von wichtigen Partnern, wie den USA, erfüllt werden, wie etwa seitens der Trump-Regierung die Anerkennung Jerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels, die Annexion weiter Gebiete der Westbank, kein Rückzug aus den Siedlungen mehr sowie nun auch noch die Normalisierung der Beziehungen mit den arabischen Staaten – und das ohne Gegenleistung. Warum also sollte Israel angesichts solch weitreichender Konzessionen an den Verhandlungstisch mit den Palästinensern zurückkehren? Auf Seiten der Palästinenser herrscht dagegen große Frustration, da es zur Zeit scheinbar kaum noch jemanden auf internationaler Ebene gibt, der ihre Forderungen nach einem eigenen Staat unterstützt. Die EU und Deutschland stellen da eine Ausnahme dar. In dieser Situation ist es hilf- und wirkungslos seitens der EU an die Konfliktparteien weiter zu appellieren, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die EU und Deutschland sollten stattdessen gemeinsam mit den Palästinensern versuchen, eine Strategie zu entwickeln, wie diese denn „Part of the game“ werden können und darüber sowohl mit den arabischen Staaten, als auch mit Israel einen Dialog führen. Diese Strategie sollte einerseits einen Plan umfassen, wie die palästinensische Seite in die sich anbahnende ökonomische Kooperation Israels mit den arabischen Staaten eingebunden werden könnte und wie es den Palästinensern selbst wieder möglich wird, mehr wirtschaftliche Kooperation mit Israel und den arabischen Staaten zu haben. Denn die „Boykott-Strategie“ der palästinensischen Seite ist nicht zuletzt mit den jüngsten Abkommen gescheitert.  Eine solche ökonomisch Öffnung und Kooperation sollte mehr Wohlstand für die palästinensischen Bevölkerung bringen und könnte ggf. auch wieder politische Optionen eröffnen. Denn sie bedeutet nicht, die politischen Ziele aus den Augen zu verlieren. Zum anderen muss endlich ein gemeinsamer Dialog darüber begonnen werden, welche politischen Modifikationen und Alternativen zur 2-Staaten-Lösung es gibt. An einem solchen Dialog haben alle Seiten ein Interesse, denn die Alternative zu einer Einbindung der palästinensischen Seite, könnten erneute gewaltförmige Bewegungen sein. Das wäre sicherlich die schlechteste Entwicklungsperspektive für die Region. 

Foto: Stephan Röhl