ELNET-Delegation sitzt in einem Konferenzraum des INSS in Tel Aviv
ELNET-Delegation beim INSS in Tel Aviv

Zwei Jahre Krieg: Wie steht es um Israels Wirtschaft?

Zwei Jahre nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sind weiterhin Auswirkungen auf Israels Wirtschaft zu spüren. Dazu richtete ELNET Anfang Dezember ein Fachgespräch mit Dan Catarivas von der Manufacturers‘ Association of Israel für Mitglieder des Deutschen Bundestags am Institute for National Security Studies (INSS) in Tel Aviv aus. Beim Austausch mit dem langjährigen Diplomaten zeigte sich, dass Israel und Deutschland teils mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind.

Israel: Eine resiliente Volkswirtschaft mit starken Wachstumsprognosen

Nach zwei Jahren Krieg zeigt sich die israelische Wirtschaft überraschend resilient. Das Land verfügt mit dem Neuen Israelischen Schekel (NIS) über eine stabile Währung. Zugleich bewegt sich die Inflation seit Beginn des Jahres 2024 in einer Spanne zwischen 2,5 und 3,5 Prozent. Auch der Arbeitsmarkt erweist sich als robust: Die Arbeitslosenquote liegt im selben Zeitraum konstant bei rund 3 Prozent. Infolge des Krieges hat sich allerdings das Budgetdefizit deutlich ausgeweitet. Grundsätzlich ähneln die Werte damit der Situation in Deutschland – wenngleich die Umstände voneinander abweichen.

In einem zentralen Punkt unterscheiden sich Deutschland und Israel jedoch deutlich: Für die Jahre 2026 und 2027 werden für Israel Wirtschaftswachstumsraten von jeweils rund 4 Prozent erwartet. Zu diesem erheblichen Wachstum trägt unter anderem die demografische Entwicklung bei. Die Geburtenrate unterscheidet sich in beiden Ländern signifikant: Während Deutschland im Jahr 2024 einen Wert von etwa 1,4 Kindern pro Frau aufwies, liegt dieser in Israel bei rund 2,9. Zum Vergleich beträgt der OECD-Durchschnitt etwa 1,5.

Herausforderungen: Der Arbeitskräftemangel in Israel

Seit dem 7. Oktober 2023 werden in Israel in hohem Umfang Reservistinnen und Reservisten zum aktiven Dienst eingezogen. Für Unternehmen stellt das eine erhebliche Herausforderung dar, da der kurzfristige Ausfall von Mitarbeitenden kompensiert werden muss. Besonders stark betroffen ist die Hightech-Branche, das Herzstück der israelischen Volkswirtschaft, welche überproportional von der Aktivierung der Reserve erfasst wird. Wie die Branche mit dieser Situation umgeht und welche weiteren Folgen der 7. Oktober hat, thematisiert das Buch Im Morgengrauen.

Auch in Israel polarisiert die Frage nach dem Verhältnis von Einzahlern und Empfängern in den Sozialkassen. Angesichts der hohen gesamtgesellschaftlichen Geburtenrate verläuft diese Debatte jedoch nicht entlang klassischer Alterslinien. Vielmehr steht die Rolle der ultraorthodoxen Bevölkerung (Haredim) im Zentrum der Auseinandersetzung. Dabei handelt es sich um ein in vielerlei Hinsicht kontrovers diskutiertes Thema.

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive geht es dabei vor allem um eine Bevölkerungsgruppe, die strukturell nur eingeschränkt am Arbeitsmarkt teilnimmt, gleichzeitig jedoch Sozialleistungen bezieht. Hinzu kommt eine überdurchschnittliche Geburtenrate von 6,4 Kindern pro Frau, wodurch diese Gruppe deutlich schneller wächst als der übrige Teil der Bevölkerung. Das daraus resultierende Ungleichgewicht stellt die israelische Volkswirtschaft vor Herausforderungen, zumal sie in besonderem Maße auf genug Arbeitskräfte angewiesen ist.

Das Problem wird in Israel durch den Umstand verstärkt, dass bis zum 7. Oktober über 100.000 Arbeitskräfte aus dem Westjordanland sowie bis zu 20.000 Menschen aus Gaza einer Beschäftigung in Israel nachgingen. Diese Zahl hat sich seit Beginn des Kriegs drastisch verringert. Arbeitskräfte aus den palästinensischen Gebieten werden zunehmend durch Menschen aus anderen Ländern ersetzt. Ob das eine nachhaltige Strategie ist, wird in Israel ebenfalls kontrovers diskutiert. 

Letztlich stellt sich für Israel die Frage, welche Exportmärkte künftig erschlossen und konsolidiert werden sollten. Auch Israel ist mit Zöllen aus den USA konfrontiert und bemüht sich zugleich, wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu vermeiden. Sowohl Deutschland als auch Israel suchen daher verstärkt nach Märkten außerhalb des EU-(Binnen-)Marktes, um ihre Volkswirtschaften langfristig resilienter aufzustellen.

Vor dem Hintergrund einer teilweise angespannten geopolitischen Lage richtet Israel den Blick insbesondere auf Indien, Japan und Südkorea. Zugleich werden Kooperationspotenziale mit den arabischen Staaten kontinuierlich geprüft und nicht zuletzt im Rahmen der Abraham-Abkommen bereits aktiv genutzt. Die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Israels mit Staaten der Region thematisiert ELNET in seiner Broschüre anlässlich des fünften Jahrestags der Abraham-Abkommen.

Blick in die Zukunft: Wie Deutschland und Israel ihre Beziehungen vertiefen können

Die Erschließung neuer Exportmärkte ändert nichts an der Tatsache, dass Europa Israels zentraler Handelspartner bleibt. Deutschland nimmt dabei gegenwärtig eine herausragende Position ein. Auch zukünftig bieten sich vielfältige Kooperationspotenziale, etwa mit Blick auf Healthcare und Life Science. Initiativen wie das German-Israeli Health Forum for Artificial Intelligence (GIHF-AI) von ELNET zeigen, wo die beiden Länder ihre Zusammenarbeit vertiefen können. 

Ein weiteres Kooperationsfeld stellt der Bereich Sicherheit und Verteidigung dar. Israel verfügt über eine innovative Verteidigungsbranche und ein breites Portfolio an Systemen, welche sich im Einsatz bewiesen haben. Darüber hinaus sind Deutschland und Israel durch die Russland-Iran-Achse indirekt mit ähnlichen militärischen Herausforderungen konfrontiert. Die Lieferung der ersten Arrow-3-Batterie von Israel nach Deutschland zeigt: Israel kann einen relevanten Beitrag leisten, wenn es darum geht, Deutschland und Europa sicherer zu machen. Weitere Potentiale der bilateralen Zusammenarbeit waren Gegenstand eines Parlamentarischen Frühstücks im Rahmen der ELNET Security & Defense Initiative (ESDI) Anfang Dezember.

Abschließend könnten die europäisch-israelische Handelsbeziehungen von einer stärkeren Einbindung in größere internationale Lieferketten profitieren. Der India–Middle East–Europe Economic Corridor (IMEC) bietet hierfür einen möglichen strukturellen Rahmen. Der Ausbau von Infrastruktur und Handelsverbindungen entlang der Achse Indien–Naher Osten–Europa eröffnet Chancen zur Diversifizierung von Lieferketten und zu einer tieferen wirtschaftlichen Verflechtung. Israels Rolle als Bindeglied zwischen den Regionen ergänzt dabei die industriellen und wirtschaftlichen Kapazitäten Deutschlands und der EU. 

Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit für IMEC auch beim fünften Europe-Middle East Forum (EMEF) im September in Abu Dhabi, wo zugleich aus verschiedenen Richtungen ein stärkeres deutsches Engagement gefordert wurde.

Das Fachgespräch mit Dan Catarivas fand im Rahmen einer von ELNET organisierten Delegationsreise mit Mitgliedern des Deutschen Bundestags nach Israel statt. Anlass der Reise war der 60. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.