Wie der Krieg in der Ukraine die europäisch-israelischen Beziehungen verändert

Dieser Beitrag von Carsten Ovens, Executive Director von ELNET Deutschland, erschien zuerst in gekürzter Version am 8. April 2022 in der TAZ.

Das stete Risiko eines Angriffs auf den jüdischen Staat Israel ist vielen Europäern nicht bewusst. Israels konstante Sorgen um seine Sicherheit scheint manchen hier übertrieben und das israelische Verhältnis zum Militär löst bisweilen sogar Befremdung aus. Fast schon mit einer gewissen Überheblichkeit beobachten wir in Deutschland und Europa israelische Verteidigungspolitik und scheuen uns nicht, mit erhobenem Zeigefinger zuallererst auf die Einhaltung von Menschenrechten hinzuweisen.

Ein Grund hierfür ist die unterschiedliche Ausgangslage. Während Israel lange nur von Feinden umgeben war, fühlte sich Deutschland „von Freunden umzingelt“, wie Johannes Rau es 2005 in einem Interview formulierte. Vor allem die jüngere Generation wurde in eine Zeit des Friedens und Wohlstandes in Europa hineingeboren – Krieg und terroristische Bedrohung blieben meist etwas Abstraktes. Da überrascht es nicht, dass Millennials, wie Ulrike Franke zuletzt in der ZEIT schrieb, eine „beinahe romantische Idee“ internationaler Beziehungen entwickelt haben. Machtpolitik passe nicht mehr zu Deutschland. Über die letzten Jahrzehnte wurden europäische Werte und Ideale mehr und mehr zum alleinigen Aushängeschild deutscher Außenpolitik.

Ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Bereits 2014 schrieb Henry Kissinger mahnend, Europa befände sich zwischen einer Vergangenheit, die es überwinden wolle und einer Zukunft, die es noch nicht definiert hätte. Der Krieg in der Ukraine erzwing nun ein rasches Weiterdenken. Dies zeigt auch die Entscheidung der Bundesregierung, die Bundeswehr mit zusätzlichen 100 Milliarden Euro auszustatten – eine historische Entscheidung in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Von vielen Seiten wird nun gefordert, europäische Staaten müssten die Sprache der Macht lernen. Daniela Schwarzer ergänzt in Ihrem jüngsten Buch „Final Call“, dass die Europäische Union eine eigene, ambitionierte globale Agenda mit gleichgesinnten Partnern in Europa und der Welt entwickeln müsse. 

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine macht deutlich, dass Diplomatie nur auf fruchtbaren Boden stößt, wenn alle Beteiligten Interesse an einem friedlichen Miteinander haben und bereit sind, sich an die Regeln der internationalen Gemeinschaft zu halten. Dafür braucht es eben auch eine starke militärische Komponente – zur Abschreckung und im schlimmsten Falle auch zur Verteidigung. 

Solche Erfahrungen muss Israel seit Staatsgründung immer und immer wieder machen. Vielleicht gelingt es uns jetzt besser, die israelische Perspektive nachzuvollziehen. Der Krieg in der Ukraine wird den Kurs der Außen- und Sicherheitspolitik für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Israel ist Europas wichtigster Partner im Nahen Osten, dessen sicherheitspolitische Interessen wir ernst nehmen und unterstützen sollten. Gleichzeitig bietet sich Israel aufgrund seiner Erfahrungen einmal mehr als starker Partner für Europa an – für die notwendige globale Agenda der Europäischen Union. Wir erleben nicht das Ende der Geschichte, gleichwohl aber ein neues Kapitel der europäischen Politik. Es gilt dabei einmal mehr, Frieden und Freiheit auch für kommende Generationen zu sichern.

Weitere Zusammenhänge und Hintergründe zeigt das ELNET-Briefing „Zeitenwende“ auf.