Stimmungsbild Israel: Deutsche Bevölkerung fordert mehr Diplomatie und Reformen im Nahen Osten

Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 2.500 Deutschen ab 18 Jahren, die im September 2024 durchgeführt wurde, bieten wertvolle Einblicke in die Meinungen der Bevölkerung ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf israelische Dörfer und Städte. Unsere Studie mit dem Titel „Stimmungsbild Israel“ beleuchtet mehrmals jährlich die Ansichten zum Hamas-Israel-Konflikt, die Rolle der UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) sowie die Wahrnehmung von Antisemitismus in Deutschland.

Sollte das Hilfswerk UNRWA stärker kontrolliert werden?

ELNET / Daten bereitgestellt von Civey

Reformbedarf der UNRWA: Deutsche Bevölkerung will strengere Kontrollen  

Ein zentrales Thema der Studie ist die Rolle der UNRWA, da Deutschland mit 186 Millionen Euro (2022) der zweitgrößte Geldgeber der Organisation ist. 77 Prozent der Deutschen fordern strengere Kontrollen der UNRWA, wobei dieser Wert unter den Wählern von CDU/CSU (87 Prozent) am höchsten ist. Diese Forderung spiegelt sich auch in der politischen Landschaft wider: Im Frühjahr 2024 befragte ELNET mit dem jährlichen Israel Survey 454 Parlamentarier aus 29 Ländern Europas. 96 Prozent der Abgeordneten sprachen sich seinerzeit für Veränderungen der UNRWA aus: 49 Prozent verlangten Reformen und stärkere Kontrollen, 46 Prozent plädierten für die Auflösung der UNRWA und deren Integration in andere UN-Institutionen.

Frieden in der Ferne: Deutsche setzen auf Katar und die USA – Europa bleibt außen vor

Die Umfrage zeigt, dass die deutsche Bevölkerung das Emirat Katar (28 Prozent), die USA (26,5 Prozent) und Saudi-Arabien (26 Prozent) als die Länder mit den besten Chancen wahrnimmt, den Hamas-Israel-Konflikt zu lösen. Im Kontrast dazu rangieren europäische Staaten, einschließlich Deutschland, am Ende dieser Liste. Diese Ergebnisse sind ein Indiz für die aktuelle Bewertung der europäischen Außenpolitik und machen deutlich, dass Deutschland und andere europäische Staaten in Zukunft mehr diplomatische Anstrengungen vornehmen müssen, um eine eigene Rolle in künftigen Friedensprozessen zu übernehmen.

Sollte Deutschland Israel im Fall eines iranischen Angriffs militärisch unterstützen?

ELNET / Daten bereitgestellt von Civey

Wachsende Skepsis gegenüber militärischer Unterstützung für Israel

Kurz nach den Angriffen vom 7. Oktober 2023 sahen noch 43 Prozent der Deutschen die Sicherheit Israels als Bestandteil der eigenen Staatsräson. Dieser Wert sank bis April 2024 auf 35 Prozent. Im September 2024 waren immerhin 60 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass Deutschland Israel im Falle eines iranischen Angriffs diplomatisch unterstützen, verschärfte Sanktionen gegen den Iran verhängen und humanitäre Hilfe leisten sollte. Gleichzeitig lehnen 67 Prozent eine militärische Unterstützung ab. Dabei befürworten nur 20 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer militärische Maßnahmen. Dies verdeutlicht, dass die Unterstützung für Israel in Deutschland weiterhin stark ist, jedoch aus Sicht der Bevölkerung vor allem in diplomatischer und humanitärer Form erfolgen sollte.

Welche Formen des Antisemitismus stellen die größten Bedrohungen in Deutschland dar?

ELNET / Daten bereitgestellt von Civey

Antisemitismus in Deutschland: Eine wachsende Bedrohung

Die Umfrage beleuchtet zudem die Wahrnehmung von Antisemitismus in Deutschland. 80 Prozent der Bevölkerung sehen radikal muslimische Kreise als größte Bedrohungen. 39 Prozent identifizieren die Gefahr von rechts und 29 Prozent von links als zentrales Problem. Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft wird hingegen von nur 13 Prozent als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen. Bei jüngeren Befragten unter 30 Jahren wird Antisemitismus von links (44,5 Prozent) als besonders gefährlich eingestuft, während ältere Deutsche (65+) stärker auf die rechte Gefahr fokussiert sind.  

Laut Israel Survey 2024 sehen im Vergleich 71 Prozent der deutschen Abgeordneten sowohl Antisemitismus aus radikal muslimischen Kreisen als auch von rechts als die größten Bedrohungen. 72 Prozent der Abgeordneten betrachten zudem israelbezogenen Antisemitismus als ein sehr großes Problem – ein Anstieg von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Kritische Diskussion über israelische Militärstrategie

Die öffentliche Meinung über das militärische Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen hat sich gewandelt. Während nach den Ereignissen des 7. Oktober 2023 nur 27 Prozent der Befragten das Vorgehen ablehnten, sind es im September 2024 bereits 45,5 Prozent – ein Anstieg um 68 Prozent. Diese Skepsis ist in Ostdeutschland besonders stark ausgeprägt, wo nur 31 Prozent das Vorgehen Israels unterstützen, im Vergleich zu 42 Prozent im Westen. Die einzige Gruppe, die mehrheitlich (53 Prozent) hinter dem Vorgehen der israelischen Armee steht, sind die Wähler von CDU/CSU. Deutlich weniger Zustimmung gibt es unter den Wählern von Grünen (23 Prozent), SPD (22 Prozent) und Linken (22 Prozent). Auch hier zeigen sich klare Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während 46 Prozent der Männer das militärische Vorgehen Israels befürworten, liegt der Wert bei Frauen lediglich bei 32 Prozent.

Appell an die deutsche Politik

„Das neue Israel-Stimmungsbild verdeutlicht die komplexen Herausforderungen, vor denen die deutsche Politik im Hinblick auf den Nahen Osten und der Sicherheit jüdischen Lebens steht,“ sagt Carsten Ovens, CEO von ELNET in Berlin. „Die Ergebnisse sollten die Bundesregierung wachrütteln: Israel benötigt gerade jetzt jede erdenkliche Unterstützung, um sich verteidigen zu können. Die Politik muss hier stärker auch nach innen vermitteln, dass die Unterstützung Israels Bestandteil unserer Staatsräson ist. Die Ergebnisse der Studie sind auch ein klarer Handlungsauftrag, unsere außenpolitischen Bemühungen zu verstärken, die Zusammenarbeit mit unseren arabischen Partnern im Rahmen der Abraham-Abkommen zu intensivieren und Reformen bei der UNRWA entschlossen voranzutreiben. Zudem müssen wir die verschiedenen wahrgenommenen Formen von Antisemitismus ernst nehmen und mit aller Kraft dagegen vorgehen.“