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Unter der Oberfläche: Die Bedrohung durch die Hisbollah-Tunnel – Interview mit Sarit Zehavi, Alma Center

Oberstleutnant (a.D.) Sarit Zehavi ist Gründerin und Präsidentin von Alma, einem Forschungs- und Bildungszentrum, das sich auf Israels Sicherheitsprobleme an seiner Nordgrenze spezialisiert hat. Sie hat zahlreiche Gruppen, darunter US-Senatoren und Journalisten, informiert und verfasst regelmäßig Positionspapiere zu Libanon und Syrien. Sarit diente 15 Jahre lang in den israelischen Verteidigungsstreitkräften, wo sie sich auf den militärischen Nachrichtendienst spezialisierte, und hat einen Master-Abschluss in Nahoststudien von der Ben-Gurion-Universität. Im Jahr 2021 wurde sie von der Jerusalem Post als eine der 50 einflussreichsten jüdischen Persönlichkeiten weltweit ausgezeichnet. Sarit lebt im Norden des westlichen Galiläa, nur 9 km von der israelischen Grenze zum Libanon entfernt.

ELNET: Frau Zehavi, kürzlich wurde berichtet, dass die israelische Armee an der Grenze zum Libanon einen Hisbollah-Tunnel entdeckt hat, der bis nach Israel reicht. Dieser Tunnel wurde offenbar gebaut, um einen Angriff auf israelische Grenzdörfer zu ermöglichen – ähnlich dem, was die Hamas am 7. Oktober 2023 im Süden Israels tat. Was weiß Israel über die Tunnels im Libanon?

Zehavi: Die Hisbollah hat fünf verschiedene Arten von Tunneln. Zum ersten Typ gehört der, den Sie erwähnt haben. Sie überqueren die Grenze, damit die Radwan-Eliteeinheiten nach Israel eindringen können. Sechs solcher Tunnel wurden vor einigen Jahren gefunden, wie der, der gerade zerstört wurde. Sie waren voll funktionsfähig, abgesehen von den Ausgängen, die noch versiegelt waren. Wir wissen nicht, ob es noch mehr solcher Tunnel gibt. Die Armee ist derzeit mit der Suche beschäftigt.

ELNET: Stellen auch die anderen Tunnel eine große Bedrohung dar?

Zehavi: Ja, es wurden auch Tunnel entdeckt, die direkt an der Grenze auf der libanesischen Seite enden. Das ist die zweite Art. Diese stellen ebenfalls eine Bedrohung für Israel dar. Das Gelände zwischen Israel und dem Libanon besteht aus Hügeln und Tälern mit vielen Bäumen, was es leicht macht, sich zu verstecken. Die Hisbollah hätte einen Überraschungseffekt, wenn sie plötzlich direkt an der Grenze auftauchen und in Israel eindringen würde. Die Armee versucht nun, solche Tunnel vollständig zu blockieren. In ihnen wurden gepackte Rucksäcke und Waffen gefunden, bereit für einen Angriff.

ELNET: Gibt es auch den dritten Tunnel-Typ an der Grenze zu Israel?

Zehavi: Ja. Wir nennen sie „taktische Tunnel“. Sie befinden sich unter den Städten und in den bewaldeten Gebieten im Südlibanon und ermöglichen es den Hisbollah-Kämpfern, von einem Gebiet in ein anderes nahe der israelischen Grenze zu gelangen. Nach den Erkenntnissen der IDF im Libanon in den vergangenen Monaten dienten diese Tunnel den Hisbollah-Militärangehörigen, die auf den Befehl zum Einmarsch in Israel warteten, als lange Verstecke und Aufenthaltsorte. Alle drei Typen sehen im Wesentlichen gleich aus. Man kann sie einzeln und in gebückter Haltung durchqueren, und in einigen können die Kämpfer sogar mehrere Tage lang warten. In einigen Tunneln gibt es Küchen und andere Einrichtungen. In einigen von ihnen haben die IDF abfahrbereite Motorräder gefunden

ELNET: Waren diese Entdeckungen eine große Überraschung für Israel?

Zehavi: Nein, wir wussten, dass diese Infrastruktur existiert. Aber die gepackten Taschen und Waffen zu sehen – alles, was bereit ist, uns und unsere Familien zu töten – ist immer noch ein harter Moment.

ELNET: Und all das wurde erst nach dem Einmarsch der Bodentruppen entdeckt?

Zehavi: Ja, entweder im vergangenen Jahr oder während der aktuellen IDF-Bodenoperation. Die IDF (Israel Defence Forces) hat kürzlich bekannt gegeben, dass im vergangenen Jahr Spezialkräfte in den Libanon eingedrungen sind, um speziell nach diesen Infrastrukturen zu suchen. Die Ergebnisse wurden vor einigen Wochen zum ersten Mal veröffentlicht.

ELNET: Was ist mit den Typen vier und fünf der Hisbollah-Tunnel?

Zehavi: Typ vier sind die „strategischen Tunnel“. Sie sehen anders aus, weil sie viel breiter sind als die zuvor genannten. In diesen Tunneln können Jeeps oder Pick-ups mit Abschussvorrichtungen fahren. Diese Tunnel erleichtern den Transport der terroristischen Infrastruktur von einem Gebiet zum anderen. Die Hisbollah operiert von drei Gebieten aus: dem Bekaa-Tal nahe der syrischen Grenze, Beirut mit dem Hauptquartier und den strategischen Waffendepots sowie dem Südlibanon. Um Munition und andere Materialien zwischen diesen Gebieten zu transportieren, werden solche Tunnel benötigt. Vor ein paar Jahren ist es uns gelungen, eine von vielen Routen zu finden; es ist ein 40 km langer Tunnel.

ELNET: Der genau diese Gebiete miteinander verbindet?

Zehavi: Ja. Während des aktuellen Krieges hat die Hisbollah ein Video mit dem Titel „Imad 4“ veröffentlicht, in dem die Infrastruktur eines solchen Tunnels gezeigt wird. Wir wissen jedoch nicht, wo er sich befindet

ELNET: Man braucht doch Jahre, um solche Tunnel zu bauen.

Zehavi: Genau. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich hervorheben möchte. Die unterirdische Kriegsführung der Hisbollah hat nicht erst gestern begonnen, sondern ist ein Projekt, das Jahrzehnte gedauert hat. Ende der 1980er Jahre besuchten Hisbollah-Militärangehörige Nordkorea und wurden dort in der unterirdischen Kriegsführung ausgebildet. Die von der Hisbollah gegrabenen Tunnel sind denen in Nordkorea sehr ähnlich. An ihrem Bau waren ein nordkoreanisches Unternehmen und eine iranische Firma beteiligt.

ELNET: Sie haben eine fünfte Art von Tunnel erwähnt. Ist er auch für den Transport gedacht?

Zehavi: Nein, das sind Sprengstofftunnel. Diese wurden nicht von der israelischen Armee blockiert, sondern von der Hisbollah selbst. Sie haben entlang einer unterirdischen Strecke Sprengstoff angebracht, der jederzeit gezündet werden kann und alles darüber liegende zum Einsturz bringt. Wir haben nur sehr wenige Informationen darüber, lediglich Einschätzungen, aber wir glauben, dass es sie auch im Südlibanon gibt.

ELNET: Wenn das Tunnel-Projekt über Jahrzehnte entwickelt wurde, warum hat Israel nicht früher eingegriffen?

Zehavi: Wie hätten wir das tun sollen? Hätte Deutschland ein israelisches Manöver im Libanon akzeptiert? Niemand hätte das. Israel hätte einen unmittelbaren Grund gebraucht, einen Casus Belli, um Truppen in den Libanon zu schicken.

ELNET: Anders als in Gaza, wo die Tunnel in den Sand gegraben sind, sind sie im Südlibanon aus Stein. Wie kann die Armee sie zerstören?

Zehavi: Ich weiß es nicht genau. Bei einer Operation 2018 haben die IDF die Tunnel mit Zement blockiert. Um einen Tunnel von weniger als einem Kilometer Länge zu blockieren, benötigte man 400 Lastwagen mit Zement.

ELNET: Das klingt nach einer unendlich schwierigen und besonders zeitaufwändigen Aufgabe während der aktuellen Bodenoffensive.

Zehavi: Ja, das ist sie. Schon der Versuch, sie zu Fall zu bringen, wäre eine Herausforderung, weil sie Dutzende von Metern tief im Fels stecken. Ich denke, die Priorität der Armee liegt im Moment darin, die gesamte Munition aus den Tunneln zu bergen. In den letzten Wochen haben wir gesehen, wie die IDF einige dieser Tunnel gesprengt hat, und wieder wurde eine große Menge an Sprengstoff benötigt.

ELNET: Damit blieben die Tunnel jedoch weiterhin eine Bedrohung?

Zehavi: Die Tunnel an sich sind keine Bedrohung. Es sind die Kämpfer der Hizbollah, die dafür ausgebildet sind, Israelis zu töten. Sie müssen eliminiert werden, zusammen mit den Waffen, die sie besitzen.

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