Das österreichische Parlament hat eine umfassende Studie zu Antisemitismus in Österreich in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse für das Jahr 2024 nun veröffentlicht wurden. Die Untersuchung zeigt, dass antisemitische Einstellungen und Vorfälle in den letzten Jahren besorgniserregend zugenommen haben. Insbesondere nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Zahl antisemitischer Äußerungen und Handlungen in Österreich massiv gestiegen. Die Studie belegt, dass sich Antisemitismus nicht nur in extremistischen Randgruppen manifestiert, sondern tief in der Gesellschaft verankert ist.
Die Ergebnisse zeichnen ein alarmierendes Bild: 31 Prozent der Befragten stimmen etwa der Aussage zu, dass Jüdinnen und Juden „zu viel Einfluss in der Welt“ hätten. Zudem glauben 27 Prozent an klassische antisemitische Verschwörungstheorien, etwa dass „Juden die Finanzwelt kontrollieren“. Besonders auffällig ist die Verbindung von Antisemitismus mit dem Nahostkonflikt: 45 Prozent der Befragten sehen eine Mitschuld von Jüdinnen und Juden an globalen Kriegen und Krisen, während 32 Prozent glauben, dass Israel absichtlich Konflikte eskaliere, um eigene Interessen durchzusetzen. Diese Narrative, die oft in antiisraelischen Kreisen propagiert werden, tragen zur Verbreitung von Antisemitismus in unterschiedlichen politischen Spektren bei.
Ein besonders besorgniserregender Aspekt ist der sprunghafte Anstieg antisemitischer Vorfälle nach dem 7. Oktober 2023. Die Studie zeigt, dass sich antisemitische Angriffe und Beleidigungen in den Monaten danach mehr als verdoppelt haben. Während im gesamten Jahr 2022 insgesamt 965 antisemitische Vorfälle dokumentiert wurden, wurden allein in den letzten drei Monaten des Jahres 2023 über 600 Fälle gemeldet. 40 Prozent der befragten Juden in Österreich berichten, dass sie im vergangenen Jahr persönlich antisemitische Anfeindungen erlebt haben – in Schulen, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Besonders jüdische Studierende sehen sich zunehmend feindlichen Reaktionen ausgesetzt, sowohl in akademischen Kreisen als auch auf sozialen Medien.
Der digitale Raum spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung antisemitischer Hetze. Laut Studie geben 55 Prozent der jüdischen Befragten an, dass sie regelmäßig mit antisemitischen Kommentaren im Internet konfrontiert sind. Hassbotschaften, Holocaustrelativierung und Verschwörungserzählungen verbreiten sich rasant in sozialen Netzwerken. Gleichzeitig steigt die Zahl antisemitischer Schmierereien und Vandalismus im öffentlichen Raum. Im Jahr 2023 wurden 230 Fälle von antisemitischer Sachbeschädigung gemeldet – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren.
Ein zentrales Kapitel der Untersuchung widmet sich antisemitischen Einstellungen in spezifischen Bevölkerungsgruppen. Besonders besorgniserregend sind die Ergebnisse aus der türkisch- und arabischsprachigen Bevölkerung. Die Studie zeigt, dass antisemitische Einstellungen in diesen Gruppen überdurchschnittlich stark verbreitet sind. So stimmen 46 Prozent der türkischsprachigen Befragten und 51 Prozent der arabischsprachigen Befragten der Aussage zu, dass „Juden zu viel Macht in der Welt haben“. In der Gesamtbevölkerung liegt dieser Wert mit 31 Prozent deutlich niedriger. Noch drastischer sind die Ergebnisse in Bezug auf antisemitische Verschwörungsmythen: 58 Prozent der arabischsprachigen Befragten glauben, dass „Juden hinter vielen globalen Konflikten stecken“.
Auch die Unterstützung für antiisraelische Narrative und gewaltverherrlichende Positionen ist in diesen Gruppen deutlich ausgeprägt. 45 Prozent der türkischsprachigen und 52 Prozent der arabischsprachigen Befragten äußerten Verständnis für Gewalt gegen Israel oder jüdische Einrichtungen – ein alarmierender Befund, der dringenden Handlungsbedarf unterstreicht. Die Studie zeigt zudem, dass in diesen Communities oft antisemitische Inhalte über soziale Medien oder religiöse Autoritäten verbreitet werden, was die Radikalisierung weiter fördert.
Die politische Dimension des Antisemitismus ist ein weiteres zentrales Thema der Studie. Während in rechtsextremen Kreisen klassische judenfeindliche Narrative dominieren, nimmt in linken und islamistischen Milieus die Dämonisierung Israels als Mittel zur Legitimation antisemitischer Positionen zu. Die Studie belegt, dass 29 Prozent der Befragten der Meinung sind, Israel verhalte sich „schlimmer als andere Staaten“ und 22 Prozent unterstützen Boykottaufrufe gegen israelische Produkte oder Unternehmen mit jüdischem Hintergrund. Diese Form des „importierten Antisemitismus“ ist eine wachsende Herausforderung für Politik und Gesellschaft.
Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklungen fordert die Studie verstärkte Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus in Österreich. Besonders im Bildungsbereich gibt es dringenden Handlungsbedarf: Nur 43 Prozent der Befragten geben an, dass sie in der Schule ausreichend über den Holocaust informiert wurden. Experten fordern daher verstärkte Bildungsinitiativen, die sich nicht nur mit der Geschichte des Antisemitismus befassen, sondern auch aktuelle Formen des Judenhasses und deren Auswirkungen thematisieren.
Auch die rechtliche Ahndung antisemitischer Straftaten muss verschärft werden. Die Studie empfiehlt eine konsequentere Strafverfolgung antisemitischer Hassrede sowohl im digitalen als auch im öffentlichen Raum. Gleichzeitig müssen jüdische Einrichtungen besser geschützt werden, um dem gestiegenen Sicherheitsrisiko entgegenzuwirken. Die jüdische Gemeinschaft fordert zudem stärkere politische und gesellschaftliche Unterstützung, um dem zunehmenden Antisemitismus wirkungsvoll zu begegnen.

Die Antisemitismus-Studie 2024 macht unmissverständlich klar: Jüdisches Leben in Österreich ist zunehmend bedroht. Es ist die Verantwortung von Politik, Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden, entschieden gegen Judenhass vorzugehen und den Schutz jüdischer Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Nur durch eine entschlossene und nachhaltige Strategie kann es gelingen, antisemitische Strukturen zu durchbrechen und ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Jüdinnen und Juden in Sicherheit, Freiheit und Würde leben können.
Ein zentraler Fokus muss dabei auf der Bildung liegen. Die Fragemauer von ELNET, ist vor diesem Hintergrund Anfang 2025 in Österreich gestartet und soll dort ausgebaut werden. Die Kampagne setzt auf Bildung und Dialog, um antisemitische sowie israelfeindliche Mythen zu entlarven und jüdisches Leben sichtbar zu machen. Besonders in einer Zeit, in der Antisemitismus wieder verstärkt auftritt, bietet die Fragemauer eine hilfreiche Plattform für Aufklärung und den offenen Austausch über jüdisches Leben und den Staat Israel. Die Unterstützung durch das österreichische Bundeskanzleramt zeigt, dass es ein Bewusstsein für die Dringlichkeit dieses Themas gibt. Es bleibt entscheidend, dass solche Initiativen weiter ausgebaut und nachhaltig gefördert werden, um antisemitischen Vorurteilen entgegenzuwirken und jüdisches Leben in Österreich zu schützen.